Ein Teil der Dienstagsgruppe: "Wir Alten sind halt nix mehr wert"

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Wenn Frau Kayder krank ist, kommt Frau Mayrhofer vorbei und bringt Suppe. Wenn Frau Tomsik einen Einbrecher befürchtet, ruft sie nicht die Polizei, sondern Frau Hager an. Man könnte meinen, aus Sicht einer effizienzbewussten Stadtverwaltung wären die zehn WienerInnen der Seniorengesprächsgruppe, die hier im Hinterzimmer Kaffee trinken und Golatschen essen, vorbildliche Ausnahmeerscheinungen: Wo andere einen ärztlichen Notdienst anrufen oder die nächste Polizeiinspektion aufsuchen, helfen die Mitglieder der "Dienstags-Gruppe" in der Fünfhauser Reindorfgasse sich selbst. Zehn Jahre lang trafen sich die Mitglieder der Gruppe jeden Dienstag in der "Beratung am Eck" des Fonds Soziales Wien. Sie jausneten, besprachen Sorgen, hielten auch zwischen den wöchentlichen Treffen Kontakt miteinander. Doch seit September ist die Gruppe heimatlos.

"Einfach abgeschoben"

Völlig überraschend habe der Fonds Soziales Wien, der zuvor neben den Räumlichkeiten auch zwei Seniorenberaterinnen zur Verfügung gestellt hatte, verkündet, die Gruppe müsse sich "damit abfinden, dass wir nicht mehr herkommen können", erzählt Hilde Kayder, eine ehemalige Angestellte der Statistik Austria. "Man hat uns einfach abgeschoben und nicht einmal erklärt, warum", ärgert sich  Frau Kayder. "Ich bin zwar alt. Aber ich bin noch so jung, dass ich die Dinge verstehen möchte."

Die meisten Gruppenmitglieder seien alleinstehend, sagt Frau Kayder. "Die Dienstagsgruppe ist unser Familienersatz." Zurzeit trifft man sich in einem Hinterzimmer der Gebietsbetreuung - doch auch dort kann die Gruppe nur noch bis Jahresende bleiben.

"Kaffeekränzchen"

Jener Raum, in dem sich die Gesprächsgruppe in den vergangenen zehn Jahren getroffen hatte, bleibt nun dienstags ungenutzt. Warum also die Einsparung? Beim zuständigen Fonds Soziales Wien (FSW), heißt es, für diese Art von Betreuung sei man nicht zuständig: "Das ist eher eine Art Kaffeekränzchen", erklärt FSW-Sprecherin Iraides Franz gegenüber derStandard.at. "Da hat keine wirkliche existenzsichernde Beratung stattgefunden." Zwar sei es "toll, dass es so aktive Senioren gibt". Aber der FSW habe eben „immer mehr Kunden, und Existenzsicherung hat Priorität". 

Dieser Umgang sei symptomatisch, glaubt Elisabeth Ettmann, pensionierte Sozialarbeiterin und Initiatorin dieser und anderer Seniorengesprächsgruppen. "Sozialarbeit geht immer mehr weg von der Beziehungsarbeit, und immer mehr in Richtung Kurzintervention", glaubt Ettmann. Die Stadt wolle effizienter arbeiten, riskiere dabei aber, dass das Ziel von Sozialarbeit verfehlt werde: "Man kann Lebensqualität nur dann steigern, wenn man in Beziehungen investiert." Nicht, dass die Gruppe aus den FSW-Räumlichkeiten ausgewiesen wurde, sei zu kritisieren - sondern die Tatsache, "dass ihnen niemand geholfen hat, einen Ersatzraum zu suchen." Zwar habe der FSW auf ein nahegelegenes Tageszentrum verwiesen - doch für den dortigen Raum müssten die PensionistInnen Miete bezahlen. 

"Wir alten Leut sind halt nix mehr wert", schlussfolgert Frau Kayder. FSW-Sprecherin Franz meint hingegen, es gebe "genügend offene Räume in Wien - das Amerlinghaus zum Beispiel." Genanntes Kulturzentrum am Spittelberg war übrigens jüngst  vom Zusperren bedroht - dank einer Einmalzahlung der Stadt Wien kann es den bereits abgespeckten Betrieb vorerst aufrechterhalten. (Maria Sterkl, derStandard.at, 13.12.2011)