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Putin bis 2050? "NEIN!"

Foto: Mikhail Metzel/AP/dapd

Die Opposition fordert Neuwahlen und gibt Wladimir Putin eine Frist von zwei Wochen. Dann dürfte es neue Massenproteste geben.

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Weiß ist Trumpf an diesem Tag. Von oben fällt Schnee auf die Demonstranten, und auch sie setzen ganz auf Weiß, Farbe der Unschuld und Zeichen von Friedfertigkeit: Die Menschen haben weiße Bändchen im Knopfloch, einige schwenken weiße Luftballons, andere weiße Blumen: Rosen oder Astern. "Wir sind nicht hier, weil wir Blut oder Gewalt sehen wollen. Wir sind hier, weil wir für ehrliche Wahlen sind", ruft der Politiker Ilja Ponomarjow den Demonstranten zu.

Die Stimmung ist friedlich und überraschend gut. "Ich bin gekommen, weil mir der Protest Hoffnung gibt", erklärt der Chemieprofessor Nikolai Maljarski. Aus der Politik hat er sich in der Vergangenheit herausgehalten, bei Protesten gegen die Obrigkeit war er nicht dabei. Diesmal ist es anders: Er habe die "Unehrlichkeit des Systems" satt, begründet Maljarski seinen Sinneswandel. "Wenn deine Stimme nicht gezählt wird und von Anfang an klar ist, dass gefälscht wird, führt das zur Verzweiflung. Jetzt gibt es Hoffnung, dass sich der gordische Knoten lösen oder zerschlagen lässt."

Faire Neuwahlen, die Zulassung der Opposition, die Absetzung der Wahlkommission und die Freilassung politischer Gefangener sind die zentralen Forderungen der Redner. Die Menge nimmt sie begeistert auf. "Putin raus" und "Putin der Dieb" skandieren die Menschen lautstark.

Schätzungsweise 50.000 bis 60.000 sind gekommen, es hat dem Kreml wenig genützt, dass er die Schüler der Oberstufe am Samstag zu einer Extraklausur verdonnert hat. Anstelle der ganz Jungen sind Ältere erschienen. Das Spektrum ist breitgefächert, auch linke und rechte Radikale sind dabei, doch in der Mehrheit sind es ganz gewöhnliche Menschen, Mittelständler, Freiberufler, Rentner und Angestellte, die sich eingefunden haben.

"Mit ihrem Kommen haben die Menschen bewiesen, dass sie Verantwortungsbewusstsein haben und ihnen die Zukunft nicht gleichgültig ist", meint Maria Knjasewa. Sie selbst war erst vor wenigen Tagen auf einer Demo zur Unterstützung von Einiges Russland - gegen ihren Willen. "Man hat uns nicht gesagt, wohin und worum es geht, 25 Mitarbeiter unserer Einrichtung wurden auf den Puschkin-Platz zur Kreml-Demo gefahren", sagt sie.

Diesmal ist die Journalistin, die zu Wahlfälschungen in Inguschetien recherchiert hat, aus eigenem Antrieb da. Sie trägt eine weiße Schleife an ihrer Tasche und trotzt wie die anderen Demonstranten der Kälte und angesichts der massiven Polizeipräsenz ein wenig wohl auch der eigenen Angst.

Doch es bleibt friedlich, sowohl die Behörden als auch die Demonstranten verhalten sich "äußerst korrekt", wie sogar das staatliche Fernsehen im Anschluss an die Veranstaltung anmerkt.

Über die sozialen Netzwerke im Internet haben sich die Demonstranten verabredet. "Ich bin diesmal gekommen, weil ich verstanden habe, dass ich nicht allein bin mit meinem Frust", sagt Ilja Woronin, ein freier Künstler.

Medwedew: Überprüfung

Neuwahlen sollen der erste Schritt zu einem Wandel des Systems werden. Diese Neuwahlen lehnte Präsident Dmitri Medwedew inzwischen auf seiner offiziellen Facebook-Seite ab. Er habe aber befohlen, alle Berichte aus den Wahlbüros "auf Einhaltung der Wahlgesetze" zu überprüfen.

Die Demonstranten geben dem Kreml zwei Wochen, Neuwahlen zu verkünden. Ansonsten steigt zum westlichen Weihnachtsfest (die Orthodoxen feiern etwas später) der nächste Protest. Die meisten sind bereit, weiter friedlich zu demonstrieren - so lange, bis auch die Gegenseite Weiß trägt: als Zeichen der Kapitulation. (André Ballin aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 12.12.2011)