Der Bundesnachrichtendienst hat Anfang 2011 die Unabhängige Historikerkommission (UHK) einberufen, um die Geschichte des BND aufzuarbeiten. Jost Dülffer ist Mitglied der UHK und emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln.

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Die braune Vergangenheit des BND, der "Geheimdienstkrieg auf deutschem Boden", die Netzwerke im Geheimdienst - Die Hostorikerkommission, die seit Anfang dieses Jahres die ersten Jahre des Bundesnachrichtendienstes nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchen soll, hat uneingeschränkten Einblick in die Akten des deutschen Geheimdienstes. Einige davon wurden allerdings anscheinend "rechtzeitig" vernichtet. Und das erst im Jahr 2007. Jost Dülffer, Historiker und Mitglied der Kommission, spricht mi Interview mit derStandard.at über die schiefe Optik dieses "Routinevorgangs" und die Erwartungen der Kommission.

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derStandard.at: Die Historikerkommission, der sie angehören, hat entdeckt, dass der BND 2007 Personalakten von Mitarbeitern vernichtet hat, die einst SS und Gestapo angehörten. Als nicht "archivwürdig", seien diese Akten eingestuft worden. Wie sehen Sie das?

Dülffer: Natürlich ist es Routine in allen Behörden, dass nach einer bestimmten Zeit Akten, auch Personalakten vernichtet werden. Wir geben uns aber nicht mit dieser Auskunft zufrieden. Es verwundert uns, dass so etwas im Jahr 2007 vorkommt. Die etwa 250 Akten wurden ausgerechnet zu der Zeit vernichtet, als der Präsident des BND dabei war, schon einmal eine Kommission zur Geschichte des BND zu gründen. Das ist schwer einzusehen.

derStandard.at: Der Verdacht steht im Raum, dass BND-Mitarbeiter gezielt die Aufarbeitung verhindern wollten. Ein begründeter Verdacht?

Dülffer: Ob das ein begründeter Verdacht ist, kann man erst sagen, wenn die Sache aufgeklärt ist. Da diese Akten ja fehlen, ist das allerdings eine schwierige Sache. Eventuell kann man das eine oder andere rekonstruieren.

derStandard.at: Sie haben aber schon einige Informationen dazu.

Dülffer: Wir haben erfahren, dass die Akten fehlen und haben dann Recherchen anstellen lassen, um welche Personen es sich handelt. Dabei ist herausgekommen, dass es sich auch um Personalakten von Personen aus Gestapo, Reichssicherheitshauptamt und Polizei handelte. Aber es sind keine Namen, die ein politisch und historisch interessierter Mensch kennen muss. In den 60er Jahren hat der BND schon einmal bemerkt, dass er zahlreiche Personen mit brauner Vergangenheit in seinen Diensten hatte.

Damals wurde eine Untersuchung durchgeführt, nach der sich der BND einiger Mitarbeiter entledigt hat, einige Untersuchten wurden für nicht bedenklich erachtet. Unter den gelöschten Personalakten waren einige damals Betroffener. Das ist von hoher zeitgeschichtlicher Bedeutung.

derStandard.at: In der Relation zu anderen staatlichen Einrichtungen und Behörden nach dem Zweiten Weltkrieg: War der BND besonders stark von Personen des Nazi-Apparats geprägt?

Dülffer: Das kann man so nicht sagen. Insgesamt sind aus dem NS-Verfolgungsapparat überdurchschnittliche viele Personen etwa in Polizei, Justiz untergekommen. Das ist bekannt. Es wird ein Teil unserer Aufgabe sein, zu ergründen, in welchem Ausmaß das für den BND gilt.

derStandard.at: Sie werden bei ihren Untersuchungen eventuell auch auf Österreicher treffen. Wird der Aspekt auch "behandelt"?

Dülffer: Wir sind natürlich nicht für Österreich zuständig, werden allerdings mit österreichischen Kollegen zusammenarbeiten. Gerade im Personalbereich dürfte es Kontinuitäten in die österreichischen Geheimdienste geben. Wir werden unter anderem dem nachgehen, ob es einen "kollegialen Austausch" zwischen deutschem und österreichischem Geheimdienst in der Zeit gegeben hat.

derStandard.at: Welchen Einfluss könnte die "braune Vergangenheit" auf die Gegenwart haben?

Dülffer: Der BND ist eines der letzten Behörden die ihre Akten freigeben. Wahrscheinlich gab es in einzelnen Ämter ganze Netzwerke von Personen, die nachzogen. Für heute spielt das vermutlich keine Rolle mehr, aber natürlich ist es wichtig für eine demokratische Gesellschaft, solche Details zu wissen.

derStandard.at: Die Historikerkommission für den BND wurde erst 2011 gegründet. In vielen westlichen Staaten müssen Dokumente nach 30 Jahren freigegeben werden. Warum klappt das in Deutschland - und Österreich - nicht?

Dülffer: Es klappt in den USA zum Beispiel besser, aber es hakt überall, auch in den USA, oft aus Personalmangel. Für den Geheimdienst in Deutschland ist das in dieser Form tatsächlich neu.

derStandard.at: Ihre Aufgabe ist es, die Geschichte des Dienstes in den ersten Jahrzehnten aufzuarbeiten. Sie und ihre Kollegen bekommen dafür vollen Zugang zu allen BND-Akten, auch zu den "geheim" und "streng geheim" gestempelten Papieren. Sie dürfen zwar alles sehen, aber nicht alles schreiben. Ist das Zensur?

Dülffer: Wir haben mit dem Bundesnachrichtendienst die Vereinbarung getroffen, dass wir 2014/15 einen kritischen Bericht vorlegen, der alle uns wichtigen Informationen enthält. Der BND muss entscheiden, was dann noch mit Sicherheitsinteressen der Republik kollidiert. Den Bericht wollen wir dann auch als Buch veröffentlichen.

derStandard.at: Inwiefern wird auch der Geheimdienst der damaligen DDR einbezogen?

Dülffer: Die BND-Leute haben in ihrer Nazi-Vergangenheit Verbrechen begangen, die Leute der Staatssicherheit später auch in ihrer aktiven Zeit. Stasiakten sind seit der Wende systematisch der Forschung zugänglich gemacht worden. Wir haben gute Kontakte zur Behörde des Bundesbeauftragten und werden erforschen, inwiefern sich Stasi und BND gegenseitig auszuforschen versuchten. Der so genannte "Geheimdienstkrieg auf deutschem Boden" interessiert uns sehr. Hier könnten brisante Details herauskommen.

derStandard.at: Vorgestern wurde BND-Präsident Ernst Uhrlau in den Ruhestand verabschiedet. Was ist Ihr wichtigstes Anliegen als Mitglied der Kommission an seinen Nachfolger Gerhard Schindler?

Dülffer: Herr Uhrlau hat diese Kommission in Gang gesetzt und unser Anliegen einer Aufarbeitung unter wissenschaftlicher Unabhängigkeit sehr gefördert. Das wünschen wir uns auch vom Nachfolger. (mhe, derStandard.at, 12.12.2011)