Meditative Entrücktheit: Craig Taborn.

Foto: Rue Sakayama

Wien - Als im Frühjahr Avenging Angel erschien, Craig Taborns erste Platte unter eigenem Namen für das Münchener ECM-Label, da horchte man auf: Eine Soloaufnahme des Pianisten aus Detroit, der als widerborstiger Forschergeist bekannt ist, für jenes Label, das sein Markenzeichen in einem etwas hermetischen Klang-Ästhetizismus gefunden hat, das schien auf den ersten Blick die perfekte Quadratur des Kreises.

Tatsächlich ist die Musik von Avenging Angel anders als das, was man bis dato von Taborn kennt: anders als die wilden, Cluster-trächtigen Tastenritte im Quartett des Saxofonisten James Carter, mit dem er in den 1990ern bekannt wurde; anders auch als sein akklamiertes CD-Opus Junk Magic von 2004, in dessen Rahmen Taborn Detroit-Techno, Laptop-Elektronik und freie Improvisation auf eigene Weise kurzschloss.

Avenging Angel zeigt den 41-Jährigen als introvertierten, disziplinierten Musikus, der seinem Ruf als überraschungsreicher Freigeist dennoch treu bleibt. Taborn entwickelt aus spontanen Anfangsimpulsen frei improvisierte Rhapsodien von erstaunlicher Stringenz: Einmal in freier Kontrapunktik, dann in perlenden, athematischen Tonwucherungen, in meditativer Entrücktheit wie auch in repetitiver Motorik, entwickelt Taborn ein faszinierendes Potpourri klingender Aggregatzustände an der Grenze von Abstraktion und Sinnlichkeit, über die er selbst sagt:

"In meinen Improvisationen denke ich immer kompositorisch. Ich beginne einfach zu spielen. Aber nachdem ich gestartet bin, versuche ich alles, die motivischen, rhythmischen und strukturellen Details so eng wie möglich auf die eingangs gespielten Ideen zu beziehen. Die Klänge entwickeln sich sozusagen direkt aus dem musikalischen Material heraus." (Andreas Felber, DER STANDARD - Printausgabe, 9. Dezember 2011)