Für viele der "Integrationsprobleme" - wie wir so manche der sozialen Konflikte heute nennen - sind die Schuldigen schnell ausgemacht: Integrationsunwillge Migranten. Ein genauerer Blick auf die Auswirkungen des Raab-Olah-Abkommens zeigt jedoch, dass vieles davon auf soziale Mechanismen zurückzuführen ist.
Österreich brauchte Anfang der 1960er Jahre Arbeiter, und zwar billige Arbeiter. So wie jede Gesellschaft auch heute noch stand Österreich vor einem Grundproblem: Es gibt Jobs, die niemand machen will, aber die irgendjemand zum Wohle der Konjunktur und des hohen Lebensstandards machen muss. Es sind schlecht bezahlte Jobs, mit niedrigem Prestige, schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Aufstiegsmöglichkeiten. Österreich löste dieses Problem damals durch Zuwanderung.

Wer Hilfsarbeiter ruft bekommt keine Akademiker

Und weil man nach billigen Arbeitern rief, kamen auch eben solche- und keine Facharbeiter oder Akademiker. 80 Prozent der türkischen Gastarbeiter hatten entweder gar keine Schule- oder höchstens die Volksschule abgeschlossen. Bei Jugoslawen waren es knapp 50 Prozent. Das war auch in Ordnung so, denn billige Arbeitskräfte haben in der Regel keine Uni-Abschlüsse. Heute werfen wir ehemaligen Gastarbeitern vor, dass sie "noch immer" kein Deutsch gelernt haben. Ganz so, als würden Erwachsene, die nicht einmal in ihrer Muttersprache anständig alphabetisiert wurden und den ganzen Tag schwere körperliche Arbeit verrichten, urplötzlich mehr Deutsch lernen, als sie zum Überleben brauchen.

80 Prozent der Gastarbeiter sind am Land aufgewachsen. Das heißt abgesehen davon, dass sie sich in einem neuen Kultur- und Sprachraum zurechtfinden mussten, mit neuen Gesetzen, neuen Normen und allem was dazu gehört, hieß es auch ganz grundsätzlich, sich auf das Leben in einer Großstadt umzustellen.

Problem kam mit der Sichtbarkeit

Ein "Ausländerproblem" gab es anfangs jedenfalls nicht. Sie machten die Jobs, die niemand machen wollte, und wohnten in den Wohnungen, in denen niemand sonst leben wollte. Anfang der 70er Jahre sagten über 80 Prozent der Österreicher: "Wir müssen froh sein, dass ausländische Arbeitskräfte nach Österreich kommen, denn es fehlen überall Arbeitskräfte."

Wie kann es sein, dass wenige Jahrzehnte später mit ausländerfeindlichen Kampagnen Wahlen gewonnen werden? So lange Ausländer unsichtbar am Rand der Gesellschaft waren, waren sie auch kein Problem. Ein Problem wurde es, als sie sichtbar wurden. Als ihre Kinder anfingen in die Schule zu gehen, in Parks zu spielen, als ganze Familien im Sommer grillten, und als Gastarbeiter allmählich den beruflichen Aufstieg suchten. Oder kurz: Als sie für sich das Recht beanspruchten, in der Gesellschaft vollwertig teilzuhaben.

Das war so nie vorgesehen - von beiden Seiten übrigens nicht. Als auch die ersten sozialen Probleme sichtbar wurden, waren auch die Argumente gegen Ausländer klar: Sozialschmarotzer, Kriminelle, etc. Übersehen wird dabei, dass diese Probleme überall auf der Welt auftreten, wo es soziale Unterschichten gibt. Vergessen wird, dass Österreich sich diese Menschen aus wirtschaftlichem Kalkül gezielt ins Land geholt hat.

Integrationspolitik war nicht nicht vorhanden

Man darf dabei auch folgendes nicht vergessen: Österreich ist nicht gerade ein aufstiegsfreundliches Land. Die soziale Selektion passiert schon sehr früh. Von sozialen Konflikten einmal abgesehen, gibt und gab es natürlich auch "echte" Integrationsprobleme - wobei "Herausforderungen" vermutlich das treffendere Wort ist. Der Wirtschaftshistoriker Felix Butschek sagt, die Integrationspolitik damals wäre weder schlecht noch unüberlegt gewesen. Sondern war schlicht nicht vorhanden. "Das Bewusstsein hat gefehlt", sagt Butschek, der auch dem Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen angehörte. "Wieso sollte der Bauarbeiter Deutsch können?", fasst er die Geisteshaltung zusammen. Entsprechend gab es auch kein adäquates Angebot an Deutschkursen und ähnlichem.
Heute tun wir uns leicht mit dem Finger zu zeigen: "Die Ausländer aus diesen 'kulturfernen Nationen' (Zitat Harald Vilimsky, FPÖ) sind schuld." Weiter bringt uns das jedenfalls nicht. Sinnvoller wäre es da anzuprangern wo es Sinn macht: Bei der sozialen Selektion. (Yilmaz Gülüm, daStandard.at, 09. Dezember 2011)