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Protest im EU-Parlament gegen die per Mediengesetz zur Regel gewordene Journalisten-"Knebelung" in Ungarn. Um so bemerkenswerter die Ausnahmen, die sich der Bevormundung entziehen.

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"Mut kann man nicht mieten." Die Preisträger Mária Vásárhelyi und ...

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... und Pál Dániel Rényi.

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In der ungarischen Geschichte haben Zeitungen stets eine große Rolle gespielt. Weder die Revolution von 1848 noch der Volksaufstand 1956 wäre ohne die publizistische Vorbereitung durch die Presse möglich gewesen. Auch auf dem Weg zur politischen Wende 1989 haben die Publikationen der Opposition im Untergrund sowie mutige Journalisten und Schriftsteller zum lautlosen Zusammenbruch des kommunistischen Systems beigetragen.

Ernst Jünger sagte 1882 bei dem Entgegennehmen des Goethe Preises: Wenn man lange lebt, erlebt man alles und auch das Gegenteil. Der Rückschlag kommt in einer Weise, die niemand geplant oder auch nur vorausgesehen hat. Es geschehen Dinge, die man bis vor kurzem für unvorstellbar hielt.

Dies gilt auch für die Mediensituation in Ungarn: Von der Einhaltung ethischer Standards und der Professionalität kann bei den öffentlich-rechtlichen audiovisuellen Medien und bei der zentralen Nachrichtenagentur keine Rede sein. Mit frevelhafter Übermut und Vermessenheit wird von den rechten und rechtsextremen Zeitungen, Rundfunk und TV-Anstalten die Kultur des Denunziatorischen gepflegt.

Vor dem Hintergrund der Zwei-Drittel-Fidesz-Mehrheit und einer relativ starken rechtsextremen Gruppe (Jobbik) im Parlament ist in Ungarn ein von einer Handvoll diskreter Fidesz-treuer Oligarchen gelenktes Medienimperium entstanden. Die übrigen von ausschließlich profitorientierten deutschen, schweizerischen und anderen ausländischen Unternehmen kontrollierten Medien werden durch gezielte Werbemaßnahmen bzw. die Erteilung von Frequenzen direkt oder indirekt unter Druck gesetzt.

Zum Glück gibt es aber noch immer Publikationen, die von den Parteien und Auslandskonzernen völlig unabhängig ihre Leser informieren können. Die Press Freedom Awards sind von einem aus angesehenen Persönlichkeiten bestehenden Jury zu Recht zwei Mitarbeitern dieser beiden Wochenzeitschriften: Élet és Irodalom (Leben und Literatur) und Magyar Narancs (Ungarische Orange) verliehen.

Expertise kann man mieten, Mut aber nicht, sagte einmal sinngemäß Henry Kissinger. Für mich ist die Kommunikationsexpertin bei der Akademie der Wissenschaften und Autorin von acht Büchern und Studien Mária Vásárhelyi ein leuchtendes Beispiel für furchtlose jahrelange Abrechnung mit dem Missbrauch der Macht in der Medienpolitik sowohl durch die sozialliberalen Regierungen wie erst recht durch das Orbán-Regime. Sie hat in einer Reihe von glänzend geschriebenen Analysen nicht nur die Motive und Methoden bei der Entstehung der neuen Medienkonglomerate aufgezeigt, sondern auch durch ihre wissenschaftliche Meinungsforschung über die Ignoranz und die tabuisierten nationalistischen Vorurteile breiter Bevölkerungsschichten bahnbrechende Berichte und Studien in der Wochenzeitung Élet és Irodalom veröffentlicht.

Durch ihren persönlichen Hintergrund - ihr Vater Miklos Vásárhelyi war als enger Mitarbeiter des1958 hingerichteten Ministerpräsidenten Imre Nagy zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, sie selbst erlebte als kleines Kind Jahre des Exils und der Verfolgung ihrer Familie - ist sie stets eine entschlossene Gegnerin autoritärer Tendenzen in der Politik und bei den Medien gewesen.

Der andere Preisträger, Pál Dániel Rényi, vertritt mit 28 Jahren die junge Generation. Er bewies in den letzten zweieinhalb Jahren als Redakteur bei dem liberalen Magyar Narancs sein großes Talent als Reporter und Rechercheur. Er schrieb über eine Vielfalt von Themen von der Informationstechnologie bis zum internationalen Fußball. Rényi hat aber vor allem durch seine gründlich recherchierten Aufsätze über die verschiedenen Aspekte der Mediengesetze die Gefahren für Pressefreiheit überzeugend dargestellt. Ein besonderes Glanzstück war sein Porträt der Chefin der Medienbehörde und die Beschreibung des Hintergrundes wie eine Musiklehrerin aus der tiefsten Provinz im Herbst 2010 durch Ministerpräsident Orbán persönlich zur Schlüsselfigur der Medienszene- für die nächsten neuen ernannt wurde.

Die Auszeichnung dieser zwei Journalisten und die indirekte Anerkennung auch für Ihre Zeitungen durch eine so respektable internationale Institution wie "Reporter ohne Grenzen" ist ein symbolisches Signal für die ungarischen Journalisten und Medienmitarbeiter unter Druck, und darüber hinaus für die Intellektuellen und Leser, dass die internationale Öffentlichkeit den Kampf für die Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn unterstützt. (Paul Lendvai/DER STANDARD; Printausgabe, 9.12.2011)