Bild nicht mehr verfügbar.

Flassbeck: Dass die Ratingagenturen Deutschland und Österreich warnen, ist lächerlich.

Foto: AP

Standard: Deutschland und Frankreich pochen auf eine Änderung der EU-Verträge. Sie wollen die nationalen Haushalte besser überwachen und Länder mit hohen Defiziten schärfer sanktionieren. Ist das der Ausweg aus der Krise?

Flassbeck: Nein. Die Probleme in der Eurozone liegen woanders, als es in Politik und Öffentlichkeit diskutiert wird. Es gibt eine gewaltige Lücke bei der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern. Das ist das zentrale Problem Europas. Dass die Euroländer Schulden haben, ist normal und im internationalen Vergleich nicht spektakulär. Trotzdem wird nur über Schulden diskutiert. Das Wettbewerbsthema wird unter den Tisch gekehrt.

Standard: Was ist falsch daran, die Krise via Einsparungen zu lösen?

Flassbeck: Es funktioniert nicht. Frau Merkel und Herr Schäuble glauben, dass man ein Land nach dem Modell einer schwäbischen Hausfrau führen kann, die in schweren Zeiten ihre Ausgaben kürzt. Aber wenn eine Regierung ihre Ausgaben drosselt, brechen ihr automatisch die Steuereinnahmen weg. Das hat man soeben in Griechenland beobachten können. Eine Schuldenkrise lässt sich nur über Wachstum lösen. Europa befindet sich derzeit ist in der Rezession und steuert auf eine tiefere Rezession zu. Haushalte werden weniger konsumieren, Unternehmen weniger investieren, und das Ausland wird uns nicht helfen. Wenn jetzt auch die Regierungen auf die Bremse steigen, spart sich Europa in den Abgrund.

Standard: Woher sollen die Euroländer Geld nehmen, um das Wachstum anzukurbeln? Viele Staaten erhalten kaum noch Kredite.

Flassbeck: Sie könnten es von der Notenbank nehmen. Die Nationalbanken finanzieren Staaten indirekt mit. Banken leihen sich Geld von der Zentralbank und geben es an den Staat weiter. Das könnte man abschaffen und erlauben, dass die Europäische Zentralbank direkt Länder finanziert.

Standard: Was derzeit laut EU-Verträgen verboten ist.

Flassbeck: Aber was heißen am Ende des Tages Verträge, wenn nichts anderes wirkt? Dass Notenbanken einschreiten, ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich sollten wir finden, dass die EZB Banken Geld leiht, damit diese den Staat finanzieren. Die Banken verdienen da als Zwischenhändler über die Zinsmargen ja kräftig mit.

Standard: Aber ist das zentrale Problem wirklich Wettbewerbsfähigkeit? Zuletzt sind die Zinskosten für Österreich und Deutschland, also für zwei wettbewerbsfähige Länder, auch gestiegen.

Flassbeck: Das würde ich nicht überbewerten. Der deutsche Zins ist immer noch einer der niedrigsten aller Zeiten, auch wenn er zuletzt einen Millimeter gestiegen ist. Dass die Ratingagenturen Österreich und Deutschland jetzt warnen, ist überhaupt lächerlich: Wem sollen denn die Leute noch Geld leihen, wenn nicht den Staaten? Wenn jetzt die Rezession kommt, sind alle anderen Anlagen doch wesentlich unsicherer. Insofern ist es richtig absurd, wie sich die Ratingagenturen aufspielen.

Standard: Wenn die Notenbanken intervenieren, haften dafür die Steuerzahler. Wie soll man Deutschen, Österreichern und Slowaken erklären, dass sie gewaltige Risiken eingehen müssen, weil Griechen und Italiener es nicht schaffen, ihren Haushalt zu sanieren?

Flassbeck: Es ist klar, dass es in einer Währungsunion auch verbindliche Regeln über Schulden geben muss. Aber die wichtigste Regel in der Eurozone war bisher, dass alle Länder eine stabile Inflation von knapp zwei Prozent einhalten. Diese Inflationsregel ist tausendmal wichtiger als die Schuldenregel, und gegen diesen Grundsatz hat in den vergangenen Jahren kein Land so sehr verstoßen wie Deutschland. In Deutschland sind die Lohnstückkosten um nie mehr als 0,5 Prozent gestiegen. Die Lohnstückkosten sind der entscheidende Faktor für die Inflation. Damit ist Deutschland mitverantwortlich für die Wettbewerbsverzerrungen. Der einzige Ausweg ist, dass die Löhne in Deutschland über die nächsten zehn, fünfzehn Jahre stärker ansteigen als im Süden. Dazu muss die Politik Druck auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausüben - ganz so, wie sie in den vergangenen Jahren Druck ausgeübt hat, um die Lohnzurückhaltung zu erreichen. (András Szigetvari, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 9.12.2011)