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„Es gibt keine Zweifel, dass der nächste Krieg im Gazastreifen kommen wird. Wahrscheinlich früher, als wir denken", warnte der ehemalige Vizestabschef des israelischen Militärs, Dan Harel, am Dienstag in Tel Aviv während der Konferenz „Herausforderungen der Kriegsführung in dicht besiedelten Gebieten".

Neben Zukunftsprognosen war es vor allem die jüngste militärische Vergangenheit, die von den israelischen Militärs am Podium analysiert wurde. Als Musterbeispiel diente dabei oft der Gazakrieg vor drei Jahren. Denn als eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, stellt der Gazastreifen Vertreter der Kriegsführung vor große Probleme. Was solle man als israelischer Soldat tun, wenn eine nicht uniformierte palästinensische Gruppe durch die Straßen geht. Wie soll man wissen, ob sie Kämpfer oder Zivilisten sind, wenn der Feind keine reguläre Armee hat? „Und wenn sich die Hamas unter einem Krankenhaus im Gazastreifen aufhält, dürfen wir es angreifen?", hat Dan Harel gefragt, und äußerte damit Kritik an der Praxis des „menschlichen Schutzschildes".

Seiner Ansicht nach hat die Hamas während des Gazakrieges bewusst Zivilisten als Schutz gegen israelische Angriffe missbraucht. „Sie locken den Feind in dicht besiedelte Gebiete. Am Ende werden dann viele Zivilisten getötet", kritisierte der pensionierte Generalmajor.

Der Mehrwert der eigenen Bevölkerung

Daneben beschäftigte die Generäle eine andere Frage: Wessen Leben ist im Kriegsfall mehr wert, das der eigenen Soldaten, oder das der feindlichen Zivilisten? „Was, wenn du als Kommandant mit der Wahl zwischen zwei Arten eines Angriffs konfrontiert bist. Die eine Variante bringt deine Soldaten in Gefahr, schützt dafür aber Zivilisten. Die andere schützt deine Soldaten, würde aber Zivilisten töten?", fragt der Rechtsphilosoph David Enoch, und lässt anklingen, dass israelische Kommandeure im Zweifelsfall Taktiken wählen, die eher ihre Soldaten beschützen.

Für den Philosophen Asa Kasher, der den Verhaltenskodex fürs israelische Militär verfasst hat, schien die Sache klar: der eigene Soldat sei mehr Wert als die am Krieg unbeteiligten Männer, Frauen und Kinder des Feindes. „Wir haben eine Verantwortung für unsere Soldaten. Sie sind Bürger in Uniform. Unsere Verantwortung gegenüber jenen Nachbarn im Gazastreifen, die keine Terroristen sind, wiegt eindeutig weniger", meinte er. 

Im Zuge des Tages folgte ein sogenanntes Dilemma dem anderen. So leichtfertig, wie bei einem Brettspiel, wurde am Podium fürs Töten und Sterben plädiert. Die meisten der Anwesenden haben sich ihr Leben lang der Kriegsführung und dem Militär gewidmet. So auch Amos Yadlin, der ehemalige Chef des israelischen Militärgeheimdienstes. Er diskutierte das „Zivilistenproblem" anhand eines Beispiels: Der Angriff auf den militanten Hamas-Führer Salah Shehadeh im Jahr 2002. Ein Bombenabwurf eines israelischen Kampfflugzeuges in Gazastadt tötete damals neben Shehadeh 14 weitere Menschen, darunter neun Kinder. „Das ist ein Dilemma. Aber sollen wir ihn nicht töten, weil Zivilisten sterben könnten? Wenn wir es nicht tun, sterben israelische Zivilisten", meinte Yadlin.

Das humanitäre Völkerrecht, da waren sich die meisten Sprecher aus den Reihen des Militärs einig, eigne sich nicht für Israels Kampf „gegen den Terrorismus". „Das internationale Recht sorgt sich nur um Zivilisten, nicht um Soldaten. Das ist unmoralisch", meinte etwa Asa Kasher.

Die Antwort des humanitären Völkerrechts

In dieser Konferenz, die vom internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) und dem israelischen Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) organisiert wurde, prallten zwei Welten aufeinander. Die eine Welt ist die der militärischen Praxis. Darunter Menschen, die sich ein Leben lang der Kriegsführung widmen. Der Glaube an einen gerechten Krieg ist dabei implizit. Der Glaube an die eigene Nation stark. Die andere Welt ist jene des humanitären Völkerrechts. Ihr Ziel: Den Krieg so human wie möglich zu gestalten.

Der Experte Knut Dörmann vom ICRC gab den Militärs in einer Sache Recht: urbane Kriegsführung ist heikel. Doch für all die angesprochenen Dilemmata habe das Kriegsvölkerrecht der Genfer Konventionen eine Antwort. Auch wenn ihre praktische Anwendung nicht immer leicht sei. 

„Wer ist nun ein legitimes Ziel eines Angriffs?", meinte Dörmann, und hat sogleich selbst geantwortet: Nur Mitglieder einer bewaffneten Gruppierung. Alle anderen seien Zivilisten. Das treffe teilweise auch auf sogenannte menschliche Schutzschilder zu. Doch auch wenn jemand ein legitimes Ziel ist, müsse erst einmal geklärt werden, ob ein Angriff Zivilisten zu Schaden kommen könnte. Hier müsse der Wert des Angriffs für das militärische Vorhaben gegenüber den zu erwartenden Verlusten abgewogen werden. „Das Kriegsvölkerrecht sucht eine Balance zwischen militärischem und humanitärem Interesse", erklärte er. So sei auch der Schutz der eigenen Soldaten wichtig. „Aber eines ist klar: das gilt nur, wenn die Methode zum Schutz der eigene Soldaten keine anderen Gesetze bricht." Ein Beispiel sei willkürlicher Beschuss, um die eigenen Soldaten zu decken.

Zum Schluss wartete das männlich dominierte Publikum über 60 auf den amerikanischen General Stanley McChrystal. Der war aber nur über eine Videoleinwand zu sehen. „Hallo, Herr General, können Sie mich hören?", versuchte ein Organisator durchs Mikrofon durchzugeben. Die Fragen aus dem Publikum wurden über ein Mobiltelefon gestellt. McChrystal ist für seine in Afghanistan angewendete Militärdoktrin der „Courageous Restraint" bekannt, was so viel heißt wie mutige Selbstbeschränkung. Um das Image der Amerikaner in Afghanistan zu verbessern, mussten zivile Opfer vermieden werden. Strenge Regeln zwangen Soldaten oft dazu, selbst in gefährlichen Situationen nicht zu schießen. Für McChrystal ist das nötig, wenn man folgendes bedenkt: „Jede Armee im Krieg sollte die Gefahr bei Angriffen Unschuldige und Zivilisten zu töten sehr ernst nehmen."