Das Stadtviertel rund um den neuen Hauptbahnhof ist bereits im Entstehen.

Foto: MA 21, ÖBB/Stadt Wien

Im Zentrum des geplanten Nordwestbahnhof-Grätzels: die "grüne Mitte".

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Wien - In einer Stadt wie Wien Wohnraum für 300.000 Menschen zu schaffen "ist nicht ohne", wie die grüne Planungsstadträtin Maria Vassilakou sagt. Im Jahr 2030, so die Prognosen für die demografische Entwicklung, werden in der Bundeshauptstadt erstmals seit Ende der Monarchie wieder zwei Millionen Menschen leben - Menschen, die Wohnungen brauchen. Bereits jetzt müssen in Wien jährlich 8000 Wohneinheiten gewidmet werden, um den anhaltenden Bedarf zu decken.

Die Flächen, auf denen gebaut werden kann, sind knappes Gut. "Mein Gott, ich habe nichts gegen Einfamilienhäuser", sagt Vassilakou, "ich verstehe, dass viele diesen Traum haben. Aber je mehr Menschen an den Stadtrand oder in den Speckgürtel ziehen, desto mehr wächst die Verkehrslawine Richtung Stadt." Ihr Ziel: "Die Stadt der kurzen Wege, verkehrsberuhigt, mit viel Grün, mit Balkonen, wo man gerne lebt, arbeitet und die Kinder zur Schule gehen."

Die Bahnhofsareale sind für Vassilakou ein Beispiel, wie man Flächen bestmöglich nutzen kann "und wie Wien mitten in der Stadt wächst". Auf dem Nordbahnhofgelände im 2. Bezirk, startet gerade der Wettbewerb für weitere Wohnviertel. Bis 2025 sollen dort insgesamt 10.000 Wohnungen und Büros für 20.000 Menschen entstehen. Die Bike City, so Vassilakou, sei ein Beispiel dafür, wie auf die Bedürfnisse der Bewohner eingegangen werden kann und soll. So wurden die Kosten für Garagen gesenkt, dafür breitere Aufzüge eingebaut, damit die Bewohner ihre Fahrräder mitnehmen können.

Neu Grätzel zur Vernetzung

Die neuen Grätzel sollen künftig auch Bezirksteile vernetzen. Auf dem Nordwestbahnhof in Brigittenau, der derzeit noch als Frachtenbahnhof genützt wird, soll das geplante Stadtviertel rund um eine "grüne Mitte" entstehen, der Park kann auch von den Bewohnern der umliegenden Grätzel genützt werden. Außerdem ist es eine Verbindung zum Augarten geplant.

Auch im 15. Bezirk soll es beim Westbahnhof im Bereich der Felberstraße Übergänge für Fußgänger und Radfahrer geben, wenn es nach Vassilakou geht. Derzeit gehört das Gelände den ÖBB. Wenn es einmal erschlossen ist, sollen die zwei durch die Bahn getrennte Bezirksteile durch Brückenspangen verbunden werden.

Es gehe um sinnvolle Dichte, betont Reinhard Seiß. Im innerstädtischen Bereich wird nach Ansicht des Stadtplaners oft überzogen - etwa beim neuen Stadtviertel rund um den Hauptbahnhof: "Auch wenn es einen Park in der Mitte gibt, ist der private und halböffentliche Freiraum im unmittelbaren Wohnumfeld sehr knapp." Was dazu führe, dass die Bewohner wieder ins Grüne fahren. Andererseits transformiere Wien viele Kleingartenanlagen in Einfamilienhaussiedlungen, statt sie als Reserveflächen für dichteren Städtebau zu nutzen.

Durchmischung unbefriedigend

Auch funktioniere die Durchmischung nicht ohne weiteres, sagt Seiß. Auf dem Nordbahnhof stünden Bürokomplexe neben Wohnhausanlagen. Seiß: "Es müsste in der Planung eine funktionale Durchmischung jedes Baublocks vorgeschrieben werden, so wie das einige Landeshauptstädte bereits versuchen."

Die Bahnhofsareale bezeichnet Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung als "historischen Glücksfall". Aber in zehn Jahren seien auch diese Flächen verbaut. "Die Stadt muss dringend Flächenvorsorge betreiben." Es gebe genügend gewidmete Flächen, die seit Jahren nicht bebaut würden. Schremmer: "Da könnte eine Infrastrukturabgabe ein Anreiz sein, mit dem Bau zu beginnen."

Vassilakou hat noch andere Flächen im Visier: die acht Kasernen-Areale, die in Wien stillgelegt werden. "Der Bund habe zuletzt eine Verwertungsstrategie verfolgt, "die ich enttäuschend finde", sagt Vassilakou. "Wenn es nur um hohe Renditen geht, macht man sozialen Wohnbau unmöglich - hier ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen." (Bettina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD-Printausgabe, 7./8.11.2011)