Was haben ein Maserati, der Jazzer Keith Jarrett und der australische Ayers Rock gemeinsam? Sie sind charismatisch, zumindest den Hochglanzheften, wie sie etwa in Arztpraxen aufliegen, zufolge. Dem rationalen Forscher geht das gegen den Strich, verknüpft er Charisma doch ausschließlich mit der Ausstrahlung von (Führungs-) Personen.

In den Globe-Studien wurde Managern aus 60 Ländern und den wichtigsten Kulturkreisen die Frage gestellt, welche Attribute sie mit einer idealen Führungskraft verbinden. Der Begriff Charisma wurde vermieden, da er nicht überall gebräuchlich ist. Wider Erwarten ist das weltweite Idealbild der Führung ziemlich homogen. Eine ideale Führungskraft zeichnet sich demnach vor allem durch moralische Integrität aus (Fairness, Redlichkeit, Verantwortlichkeit, Übereinstimmung von Worten und Taten). Sie hat ein hohes Ausmaß an sozialer Sensibilität, Verständnis und Einfühlungsvermögen gegenüber Mitarbeitern und bemüht sich sichtbar um ihre Entwicklung durch Förderung von Kompetenzen und der Formulierung hoher Erwartungen bei gleichzeitiger Signalisierung von Vertrauen selbst in risikoreichen Situationen.

Zur Durchsetzung von Zielen und der Übermittlung von Botschaften setzt sie symbolische, dramatisierende Aktionen ein (Demonstration der eigenen Opferbereitschaft) und verfolgt konsequent Strategien bzw. Visionen, die unter Umständen auch den Status quo infrage stellen. Sie fungiert als Repräsentant für das Wertesystem einer Organisation, indem sie es nicht nur in Worten ausdrückt, sondern auch demonstrativ vorlebt. Zu guter Letzt zeigt sie sich imstande, Teams zusammenzuhalten und Konflikte produktiv zu lösen.

Bei Studien, in denen Manager ihre Spitzenführungskräfte zu beurteilen hatten, zeigte sich allerdings nur eine mäßige Übereinstimmung zwischen dem Idealbild und der Realität.

Das ist bedauerlich, denn sowohl eine hohe Ausprägung der Führungsideale als auch eine hohe Kongruenz zwischen Real- und Idealbild hatten eine positive Auswirkung auf das Commitment der Mitarbeiter. Einen direkten Zusammenhang zwischen dieser Art der Führung und dem Unternehmenserfolg (gemessen an der Ertrags- und Umsatzentwicklung) konnten wir nicht feststellen. Allerdings hatte das sehr führungsabhängige Mitarbeiter-Commitment einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg, und zwar auch nach Berücksichtigung von Marktanteil, Marktwachstum und Wettbewerbsintensität.

"Ideale" Führung schafft also eine Synthese aus persönlicher Integrität, reflektierter Empathie und professioneller Entschlusskraft. Sie drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern agiert mit ruhiger Bestimmtheit, um das zu tun, was getan werden muss, damit langfristig gute Resultate erzielt werden. Ideale Führungskräfte sind also eher Uhrmacher als Zeitansager. Ob man das Charisma nennen will, ist wohl Geschmackssache, umso mehr, als der Begriff ohnedies zunehmend durch Automarken oder Damenparfums usurpiert wird. Wir können ihn also getrost den Hochglanzheften überlassen. (Johannes Steyrer/DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.12.2011)