Wien - Schief hängt der Haussegen zwischen ÖBB-Führung und Belegschaftsvertretung schon länger. Nun steuert die ÖBB unter ihrem neuen Konzernbetriebsratschef Roman Hebenstreit auf einen veritablen Arbeitskonflikt zu.

Der Kern der Auseinandersetzung: Die ÖBB hat in den vergangenen Jahren regelmäßig Überstundenzuschläge offenbar nicht gemäß Urlaubsgesetz (Art.1 §6) abgerechnet und ausgezahlt. Daher wurde sie nach einer routinemäßigen Prüfung durch die zuständige Versicherungsanstalt für Eisenbahn und Bergbau (VAEB) zu einer Nachzahlung in der Höhe von mehr als vier Millionen Euro verdonnert. Auch entsprechende Nachzahlungen an den Fiskus waren abzuführen, was die Staatsbahn auch getan habe, erfuhr der Standard aus Kreisen der Sozialversicherung.

Den Eisenbahnern will die ÖBB ihren Entgelt-Entgang für die vergangenen drei Jahre (Ansprüche aus der Zeit davor sind verjährt) offenbar nicht nachzahlen. Das ist nachvollziehbar, fiele die Nachzahlung mit rund 36 Millionen Euro laut Insidern doch geschmalzen aus. Nach den 37 Mio. Euro, die die ÖBB laut Gericht für die Anrechnung von Vordienstzeiten zahlen müssen, sind die 36 Mio. ein weiterer Rückschlag bei der ÖBB-Sanierung.

Die ÖBB wollte die Beträge am Freitag nicht bestätigen. Es handle sich um Individualansprüche, die man erst berechnen müsse. Außerdem handle es sich bei dem Problem um eine Altlast. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, dass Arbeitnehmer während ihres Urlaubs Anspruch auf jenes Entgelt haben, das sie vor Urlaubsantritt bezogen haben. Leistet ein Mitarbeiter regelmäßig Überstunden, hat er im Urlaub Anspruch auf die im Schnitt der vorangegangenen 13 Wochen bezahlten höheren Bezüge.

Dieses Geld wollen die ÖBB-Betriebsräte diverser Gesellschaften nun beim Arbeits- und Sozialgericht einklagen. Gespräche mit der ÖBB-Holding-Führung unter ihrem Chef Christian Kern hätten bis dato kein Ergebnis gebracht, nun schaltet Neo-Konzernbetriebsratschef auf härtere Gangart. "Die Mitarbeiter leisten ihren Beitrag zur Unternehmenssanierung selbstverständlich, aber nicht durch Betrug an den Mitarbeitern. Entweder die ÖBB zahlt, oder es klescht" , sagt Hebenstreit.

"Wir werden die Abrechnungen und Ausbezahlungen an die betroffenen Mitarbeiter natürlich gesetzeskonform vornehmen" , kündigt ÖBB-Kommunikationschefin Kristin Hanusch-Linser auf Anfrage des Standard an. ÖBB-Chef Kern bezeichnete Informationen, wonach sich die ÖBB wehre, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen, am Freitagnachmittag gar als "Verleumdung" .

Das Problem: Ob derartige Entgelte für die Vergangenheit nachzuzahlen sind, ist unter Arbeitsrechtlern nicht unstrittig. Daher wird es spannend, wie das Arbeits- und Sozialgericht die vom Betriebsrat im Namen von drei betroffenen Arbeitnehmern geplante Feststellungsklage über eine Nachzahlung entscheiden wird.

Auf Nachfrage schloss Kern die Nachzahlung nicht mehr aus. Bestehende Ansprüche zahle man natürlich. Da Feststellung und Auszahlung der Ansprüche pro Mitarbeiter Zeit bräuchten, habe man dem Aufsichtsrat am Dienstag die Bildung einer entsprechenden Rückstellung avisiert. Im Gegensatz zum Mehraufwand nicht budgetiert wurde die Gehaltsnachforderung. Der Abschluss im Juli lag bei 2,4 Prozent - unter Inflation. Diese Forderung sei ihm nicht bekannt, sagt Kern, und nicht an ihn herangetragen worden. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe; 3./4.12.2011)