Auch Jahrzehnte nach dem Contergan-Skandal gibt es Medikamente, die für das Ungeborene schädlich sein können. Auch in der Stillzeit sollten manche Substanzen mit Vorsicht eingesetzt werden. Umgekehrt führen Unkenntnis oder Unsicherheit oft dazu, dass notwendige Behandlungen oder sogar die Schwangerschaft unnötigerweise abgebrochen werden. Vor derart schwerwiegenden Entscheidungen sollten unbedingt Experten befragt werden. Genaueres erläuterte Christoph Schaefer vom bundesweit zuständigen Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin vor der Presse im Rahmen des Deutschen Kongresses für Perinatalmedizin (1.bis 3.12.11).

Warnhinweise in Beipackzetteln, aber auch in Fachinformationen oder in der Roten Liste vermitteln den Eindruck, dass die meisten Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit für das Kind riskant sind und nicht verwendet werden dürfen. Daraus resultieren immer wieder Fehlentscheidungen, wie zum Beispiel:

Therapieabbrüche bei Feststellung einer Schwangerschaft mit dann folgendem Erkrankungsrückfall bei der Mutter, unnötige, überzogene vorgeburtliche Diagnostik, Schwangerschaftsabbrüche oder unnötiges Abstillen.

Auf der anderen Seite nehmen Frauen Medikamente, die für das Kind problematisch sein und oft durch andere Präparate ersetzt werden könnten, weil tatsächlich zutreffende Warnhinweise nicht beachtet werden.

Retionide sind giftig für den Embryo

Anfragen an das bundesweit beratende Zentrum für Embryonaltoxikologie beziehen sich mit Abstand am häufigsten auf Psychopharmaka. Oft werden auch Fragen zur Behandlung von Infektionen, Epilepsie oder rheumatischen Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit gestellt.
Zu den (nach Contergan) giftigsten Medikamenten für den Embryo zählen die Retinoide, zum Beispiel Isoretinoin (Mittel gegen Akne). Obwohl dies seit langem bekannt ist, kommt es weiter zu Schwangerschaften während einer solchen Therapie, weil die korrekt warnenden Hinweise im Beipackzettel nicht ausreichend befolgt werden und auf wirksame Verhütungsmaßnahmen unter der Therapie verzichtet wird.

Sorge bereiten auch eine bestimmte Gruppe von Medikamenten gegen Bluthochdruck, die Sartane, die ebenso wie die älteren ACE-Hemmer im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel zu Fruchtwasserverlust und schweren Schäden beim Feten führen können. Erstaunlicherweise erhält unser Institut in den letzten Jahren nicht weniger sondern eher mehr Berichte zur Einnahme von Sartanen im Vergleich zu ACE-Hemmern, obwohl die ACE-Hemmer generell mehr verbreitet sind. Das könnte daran liegen, dass den Sartanen als "modernerer" Arzneigruppe nicht nur therapeutische Vorteile, sondern auch fälschlicherweise eine größere Sicherheit in der Schwangerschaft unterstellt wird.

Valproinsäure erhöht das Fehlbildungsrisiko

Valproinsäure ist in der Schwangerschaft gefährlicher als alle anderen Antiepileptika. Es erhöht das Fehlbildungsrisiko um das Drei- bis Vierfache und kann auch mentale Entwicklungsstörungen verursachen. Daher sollte es im gebärfähigen Alter, spätestens aber bei Planung einer Schwangerschaft, ausschließlich dann genommen werden, wenn andere, besser für das Kind verträgliche Antiepileptika nicht wirken. Keineswegs darf es bei Frauen im gebärfähigen Alter für andere Erkrankungen wie zum Beispiel psychiatrische eingesetzt werden.

Vor Paracetamol und Ibuprofen in der Frühschwangerschaft wurde in diesem Jahr aufgrund einzelner Studienergebnisse gewarnt, weil ein Risiko für Hodenhochstand oder Fehlgeburten bestünde. Diese Ergebnisse stellen aber allenfalls einen vagen, unbestätigten Verdacht dar. Beide Mittel sind nach wie vor Schmerzmittel der ersten Wahl in der Schwangerschaft. Im Gegensatz zu Paracetamol darf Ibuprofen aber nur bis zur 28. Schwangerschaftswoche eingenommen werden, weil danach der fetale Kreislauf geschädigt werden könnte.

Es gibt kaum ein Medikament, dessen Risiko so hoch ist, das nach einer Einnahme unbesehen ein Schwangerschaftsabbruch angezeigt wäre. Im Zweifelsfall sollte unter Beteiligung des betreuenden Arztes das Institut für Embryonaltoxikologie eingeschaltet werden, um das individuelle Risiko abzuschätzen und, falls erforderlich, die Behandlung umzustellen. (red)