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Der Abgang des Cavaliere - hier auf einem Archivfoto von 2009 - könnte den Weg für Reformen freimachen.

Foto: REUTERS/Remo Casilli/Files

Silvio Berlusconi ist als Ministerpräsident abgelöst worden. Insofern bestehen wieder Chancen für das, was Nichi Vendola mit seinem Buchtitel verspricht: Es gibt ein besseres Italien. Manifest für eine neue Politik. Das Buch hat den Charakter eines Manifests, d. h. es behandelt sozusagen buchstäblich alle aktuellen politischen Probleme und Konflikte. Und das ist leider auch die Schwäche des Buches, weil der umfassende Anspruch natürlich zur Darstellung der Probleme in groben Zügen zwingt. Vieles von dem, was Vendola anspricht, hätte man gern etwas genauer gewusst.

Wie zum Beispiel kommt es dazu, dass ausgerechnet in der süditalienischen Provinz Apulien der Frauenanteil in der Provinzregierung bei 50 Prozent liegt, in der Zentralregierung in Rom dagegen bei bescheidenen 16 Prozent? Am Berufs-Macho Berlusconi allein wird das nicht liegen. Aber dieser Einwand tut dem Verdienst des Buches, auf Lichtblicke im verdüsterten Italien hinzuweisen, keinen Abbruch.

Der 1958 geborene Nichi Vendola stammt aus einer kommunistischen Familie, die ihm aus Sympathie für Nikita Chruschtschow den Vornamen Nichi verpasste. Nach dem Niedergang der Kommunistischen Partei schloss sich Vendola dem "Partito della Rifondazione Comunista" (PRC) an, der "einzigen Gruppierung, die sich gegen die Gleichschaltung der Linken und ihre Anpassung an die allesbeherrschende Ideologie des freien Marktes stemmte" (Vendola). Für diese Partei war er von 1992 bis 2001 Abgeordneter in Rom, trat jedoch 2009 aus der Partei aus und schloss sich der neuen Gruppierung "Sinistra Ecologia e Libertà" an. Für diese wurde er 2010 als Präsident der Provinz Apulien gewählt.

Im Vorfeld der Wahl gründete er die "Fabbriche di Nichi" , Unterstützergruppen, die sich als überparteilich verstehen und sich vor allem dem gesellschaftlichen Engagement widmen - ähnlich den Bürgerinitiativen hierzulande. Diese Mischung aus Politik von oben und Volksbewegung umfasst mittlerweile rund 200 Arbeitsgruppen, die sich für erneuerbare Energien, Wiedereingliederung von Arbeitslosen, Kultur- und Bildungsprojekte, aber auch für die Wasserversorgung und die Förderung eines sanften Tourismus einsetzen.

Die Fabbriche di Nichi sind Werkstätten für mehr Demokratie und Partizipation, die Denkanstöße und neue politische Perspektiven vermitteln wollen und sich dabei vor allem auf die neuen Medientechnologien, die das Internet bietet, stützen. Vendolas Manifest ist ein einziges Plädoyer für die Mobilisierung von "kollektiver Intelligenz" für bürgernahe Kooperation und Partizipation. Vom Jargon der Politprofis unterscheidet sich Vendola durch seine Sprache und seine Maßstäbe: Er setzt mit seinem politischen Ansatz auf soziales Gewissen ebenso wie auf "Schönheitsempfinden, Demokratie, Nachhaltigkeit und Teilhabe" . Das sind analytische Schlüsselbegriffe, mit denen er den Mythos der freien Marktwirtschaft ebenso zerlegt wie den Wachstumsfetischismus: "Wir müssen wieder ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Gesamtbild entwickeln, in dem Arbeit als grundlegender sozialer Wert gilt, als Instrument sozialer Emanzipation und nicht bloß als Billigware."

Schützenswertes Gemeingut

In dieser Perspektive erscheint die Nutzung des öffentlichen Raums für soziale Projekte ebenso als "schützenswertes Gemeingut" wie der egalitäre Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Wasser. Vendola plädiert für alle politischen Bereiche von der EU bis zur Bildungs- und Regionalpolitik für grundlegende Reformen, lässt aber keinen Zweifel darüber aufkommen, dass diese nur realisiert werden können, wenn es gelingt, die Menschen zu überzeugen, dass es um "ihre Existenzgrundlagen" und nicht um vage politische Träume geht.

Weil Vendola keine Phrasen drischt, sondern glaubhaft auftritt und agiert, ist es ihm gelungen, Apulien in kürzester Zeit zum Vorreiter für die Anwendung erneuerbarer Energien zu machen oder der Bildungspolitik oberste Priorität zu verleihen. In einer Provinz, in der "Armut über Generationen hinweg vererbt wird" , ist das keine Nebensächlichkeit.

Gelegentlich brennt zwar der technologische Furor mit Vendola durch, etwa wenn er die Glasfaserverkabelung als Patentrezept für allerlei anpreist oder meint, "das Netz schafft Frieden, weil es vereint" , aber insgesamt bietet Vendola solide Informationen über ein anspruchsvolles Reformkonzept und eine intelligente Kritik des neoliberalen Politikbetriebs, nicht nur in Italien. (DER STANDARD Printausgabe, 3./4.12. 2011)