Schauspieler und Regisseur in einem: Nanni Moretti (li.) im Gespräch mit dem Papst, verkörpert vom französischen Altstar Michel Piccoli.

Foto: Polyfilm

STANDARD: Der Papst in "Habemus Papam" möchte nicht oberster Hirte sein. Er ist überfordert - macht ihn das besonders menschlich?

Moretti: Im Kino und im Fernsehen geht es im Konklave stets um Machtspiele, um Intrigen und um Selbstkandidatur - ich wollte etwas anderes machen. Wir wissen nicht, wie es in Wirklichkeit abläuft. Ich wollte ein Konklave, in der eigentlich niemand Papst werden will, selbst der Favorit möchte auf keinen Fall gewinnen. Die Päpste sagen manchmal, dass sie sich fehl am Platz gefühlt haben, hier ist es so, dass der Papst tatsächlich fehl am Platz ist. Die Überraschung des Publikums, das diesen Papst als menschlicheren Papst sieht, sagt doch schon alles: Wer sollte sonst ein Mensch sein, wenn nicht der Papst?

STANDARD: Kritiker reagierten verwundert, dass Sie Themen wie Pädophilie nicht aufgreifen. Was entgegnen Sie ihnen?

Moretti: Es erstaunt mich, dass manche Personen Geschichten erwartet haben, über die alle Zeitungen geschrieben haben. Sie wollen einen Film der Anschuldigung sehen, aber ein solcher wäre für mich eher ein Film der Beruhigung - ein Film über pädophile Skandale würde die Leute doch nur in ihrem Wissen bestätigen. Ich wollte kein Drehbuch aus Zeitungsschnipseln schreiben. Ich wollte keinen realistischen Film machen, der zum Sklaven der Realität wird. Das Bild des leeren Balkons im Vatikan, dieses schwarze Loch, von dem der Papst aufgesaugt wird, ist für mich ein sehr bedrohliches - wie für die Kirche. Nach den Ritualen und Prozessionen wollte ich einen Mann präsentieren, der eine starke, aber einfache Geste zeigt, mit der er sich behauptet. In dem Moment bricht die ganze Architektur ein. Es genügt diese kleine Geste, um den Machtapparat zu entblößen.

STANDARD: Der von Michel Piccoli gespielte Papst schleicht sich heimlich aus dem Vatikan. Er agiert ein wenig so wie ein Gefangener, der das Leben wieder entdeckt.

Moretti: Mich hat die Symmetrie, dieser Rollentausch zwischen Papst und Psychoanalytiker interessiert. Der Psychoanalytiker, der in den Vatikan kommt, sollte ja ein offener Mann sein, aufgeschlossen für Forschung und Entdeckung, er ist dann aber bloß entschlossen, den Kardinälen ein Volleyball-Turnier aufzuzwingen. Der Papst dagegen sollte unfehlbar sein, in Gewissheiten, in Dogmen leben; er bricht dann aber aus in eine Welt, die sich sehr von dem Konklave unterscheidet. Ich wollte nicht grob und pedantisch sein, aber es geht durchaus um einen Papst, der erst in der Stadt den Menschen begegnet.

STANDARD: Im Film gibt es viele Formen von Theater: jenes des Vatikans, das die Absenz des Pontifex verschweigt; dann das richtige Theater, welches der Papst entdeckt.

Moretti: Es geht nicht so sehr ums Theater als um die Rollen. Der Schweizer Gardist, der die Rolle des Schattens des Papstes spielt. Der Papst, der nicht die Rolle spielen will, zu der ihn Gott berufen hat. Der Psychoanalytiker, der es nicht schafft, die Rolle zu spielen, für die er in den Vatikan gerufen wurde. Der verrückte Schauspieler, der alle Rollen in dem Stück von Tschechow spielt. Ich weiß nicht mehr, ob ich bei der Idee des unerfüllten Traums vom Theater an Wojtila gedacht habe ...

STANDARD: Ab wann haben Sie denn an Piccoli gedacht?

Moretti: Er war erste Wahl. Ich habe ihn aber erst kontaktiert, nachdem ich ein Treatment geschrieben hatte. Er hat die Figur nicht beeinflusst, als sie geschrieben wurde. Aber er hat sie bereichert, weil er ein außerordentlicher Schauspieler ist. Mir gefallen Schauspieler, die sich nicht komplett in ihrer Rolle auflösen - Schauspieler, die nicht nur eine Figur, sondern einen Menschen und dessen Wahrheit zeigen. Ich war von Piccoli aber nicht so eingeschüchtert, um ihm nicht zu zeigen, wie ich es haben will.

STANDARD: In dem Film "Il Caimano / Der Italiener" haben Sie Berlusconi thematisiert, nun den Papst. Lässt sich die Realität mit Komik bändigen?

Moretti: Sicher nicht im Sinne einer Parodie. Bei Il Caimano habe ich niemals - weder als Schauspieler noch als Regisseur - die Imitation gesucht, weder im physischen Sinn noch im repräsentativen Sinn. Wenn es komische Momente gibt, sind sie nicht der Versuch, Machtstrukturen zu kritisieren, sondern einfach meine Art, Geschichten zu erzählen. Analogien zwischen Il Caimano und Habemus Papam gibt es formal, es gibt eine stilistische oder filmische Ähnlichkeiten in der Art, wie ich versuche, Dingen keine linearen Richtung zu geben, sondern immer wieder abzuschweifen.

STANDARD: Sie haben sich schon in "Aprile"(1998) mit Berlusconi beschäftigt - hatten Sie jemals das Gefühl, bestimmte Figuren nicht loszuwerden?

Moretti: Weniger als Regisseur denn als Bürger. Leider haben wir uns in Italien an Berlusconi und seine Machenschaften viel zu sehr gewöhnt. Das ist tragisch. Es hat einen solchen Bruch mit aller Regeln der Staatsführung gegeben, ein ganzes Land wurde zur Geisel der Interessen einer Privatperson. Es ist nicht so sehr, dass Berlusconi zu meiner Obsession wurde, als dass er obsessiv auf uns eingewirkt hat. Deswegen sind wir ihn auch so lange nicht losgeworden. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 3./4. Dezember 2011)