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Joanneum, gelocht: Besucherzentrum, Landesbibliothek und multimediale Ausstellung befinden sich im Untergeschoß. Für das nötige Tageslicht sorgen die fünf Kegel. Mittlerweile hat den asketischen Platz die vorweihnachtliche Realität eingeholt: Punschhütten.

Foto: APA/UMJ/N. LACKNER

Besucherzentrum: Zum Haupteingang führt eine Rolltreppe hinab.

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Guter Käse braucht viele Monate, bis er dem Gourmet den Gaumen verwöhnt. Im Falle des Grazer Joanneums dauerte der Reifeprozess der löchrigen Angelegenheit sogar Jahre. 14, um genau zu sein. Nach langem politischen und finanziellen Gerangel ist das Projekt, das die drei wichtigsten der insgesamt zehn Standorte des Joanneums baulich miteinander verbindet, nun endlich angerichtet. Letzten Samstag wurde, exakt zum 200. Stiftungstag des ersten öffentlichen Museums Europas, das neue Joanneumsviertel eröffnet.

Auf Augenhöhe blieb alles beim Alten. Kein modischer Blob stört das historische Ensemble von Naturkundemuseum und Neuer Galerie, keine lästige Kiste steht unmotiviert herum und stoppt die Betrachtung von Barock und Historismus.

Die neue Architektur liegt dem Platz zu Füßen. Die aus einem zweistufigen Verhandlungsverfahren als Siegerin hervorgegangene Arge aus Nieto Sobejano (Madrid) und eep architekten (Graz) konzentrierte sich auf das Unsichtbare. Abgesehen von ein paar runden Grasbeeten und Sitzknöpfen aus Beton liegt das architektonische Machwerk unter der Erde - und beinhaltet ein Besucherzentrum, einen Veranstaltungssaal, einen Multimedia-Ausstellungsraum, die neue Landesbibliothek, Zugänge und Stiegenhäuser zu den bestehenden Gebäuden sowie die Generalsanierung der gesamten historischen Bausubstanz.

"Der Großteil des Projekts ist unsichtbar", erklärt Gerhard Eder von eep architekten. "Wenn man sich das Ensemble genau ansieht, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass dieser ohnehin schon reiche Platz keine weiteren Hochbauten mehr verträgt." Und das liegt ganz im Sinne des Bundesdenkmalamts. Denn dieses forderte in der Wettbewerbsausschreibung, dass ein Großteil der Fläche frei bleiben müsse.

Dass die beiden Teams eep und Nieto Sobejano die Pflicht auf das gesamte Grundstück ausweiteten, ist eine Kür zugunsten der Öffentlichkeit. Entstanden ist nicht nur ein Gebäude, sondern auch eine Bühne für die Stadt. Und diese ließ nicht lange auf sich warten. Erst kam der Architekturfotograf aus Deutschland angeflogen und bannte die nackte Ästhetik in die Kamera, am nächsten Tag schon marschierten die Handwerker herbei und stellten Punschhütten auf. Nelkenduft und Zimt.

Und dann die Löcher. Wie mit dem Zirkel ausgeschnitten klaffen fünf unterschiedlich große Kegel im Platz. Anders als bei einem Emmentaler bestehen die Löcher nicht nur aus Luft, sondern vor allem aus Licht. Die Ausschnitte sind groß, die Neigungswinkel flach, die Positionierungen gut gewählt. Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, im Keller zu sitzen. Dutzende Meter weit schweift das Auge von einem Lichtblick zum nächsten.

"Natürlich war es unsere Intention, genau dieses Gefühl zu vermitteln", sagt Eder. "Doch dieser hohe Grad an Luftigkeit und Leichtigkeit hat, um ehrlich zu sein, uns alle überrascht." Auf dem Plan und in der CAD-Visualisierung seien Transparenz und Durchblicke leicht darzustellen. In der Realität jedoch sei das Spiel mit dem Licht und dem Schatten eine Königsdisziplin.

Die Stadt im Periskop

Und deutet auf das verzerrte Spiegelbild der Neuen Galerie, die sich neben der Rolltreppe, die zum Haupteingang hinunterführt, volltrunken an die Scheibe schmiegt: "Wir sind mit dem Resultat mehr als zufrieden. Alle angenommenen Parameter wie Größe, Winkel, Glasstärke und Bedruckungsmuster wurden für diese konkrete Bauaufgabe perfekt berechnet. Hier vereint sich das Alte mit den Neuen."

Für seinen Projektpartner Enrique Sobejano aus Madrid ist das neue Joanneumsviertel in erster Linie ein Bekenntnis zur Reduktion. "Die Grazer Altstadt ist bekannt für ihre historische Dachlandschaft", meint Sobejano. "Bei so viel Schönheit macht es keinen Sinn zu konkurrieren. Wir haben uns daher entschieden, mit wenigen Mitteln zu arbeiten. Wir haben Löcher gebaut, aus denen man wie durch ein Periskop auf die umliegende Stadt blicken kann. Das war's."

Was sich zwischen diesen fünf Löchern abspielt, ist eine Komposition aus günstigen, aber keineswegs billig wirkenden Materialien: Gussasphalt mit rustikalem Schliff, nackter Sichtbeton und unbehandelter, lackierter Stahl. Auf der einen Seite sitzen die Lesenden und Forschenden, spielen mit lustigen Designer-Leselampen, die sich aus unerklärlichen Gründen per Magnetverschluss im Handumdrehen demontieren lassen, und schmökern in einem der eine Million Bände, die ein Geschoß tiefer im riesigen Bücherspeicher gehortet werden.

Auf der anderen Seite wandern die Besucher hin und her, spionieren den Museumsshop aus und sind erstmals in der Geschichte des Joanneums in der grundbedürfnisglücklichen Lage, selbst Toiletten, Wickelraum und Garderobe zu finden, ohne das Museumspersonal permanent belästigen zu müssen. Alles sehr übersichtlich.

"Die alte Situation im Joanneum war einfach nicht mehr tragbar", erinnert sich Peter Pakesch, Intendant des Universalmuseums. "Ganz normale Selbstverständlichkeiten, die ein Museum des 21. Jahrhunderts benötigt, hat es nicht gegeben. Jetzt ist das Raumprogramm vollendet. Alles funktioniert wunderbar."

Die erste Idee für ein "Joanneum Neu", so der Titel des damaligen Masterplans, stammt aus dem Jahre 1997. Das städtebauliche Leitbild für das Joanneumsviertel entstand 2005. Und nun, einige institutionelle Grabenkämpfe und 26 Millionen Euro (Nettobaukosten) später, ist die Hardware bereit zur Benützung. Jetzt geht es darum, die Software zu sanieren und für die nächsten Jahre genügend Geld für die Bespielung dieser Häuser auf die Beine zu stellen. Der Steirerkas muss noch nachreifen. (Wojciech Czaja, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 3./4. Dezember 2011)