Bild nicht mehr verfügbar.

Eben noch Ministerpräsident, schon bald wieder auf der Showbühne des Präsidentenamtes: Vladimir Putin (59).

Foto: REUTERS/Alexander Zemlianichenko/Pool

Bild nicht mehr verfügbar.

Russische Rechtsextremisten werden immer stärker.

Foto: REUTERS/Denis Sinyakov/Files

Zur Person: Gerhard Mangott ist Politikwissenschafter an der Universität Innsbruck.

Foto: Privat

Wenn am Sonntag im größte Flächenstaat der Erde gewählt wird, geht es zwar nicht um Machtwechsel in der russischen Staatsduma, wohl aber um die Legitimität des künftigen neuen, alten Präsidenten Wladimir Putin. Büßt seine Partei "Geeintes Russland" massiv an Zustimmung ein, könnte der Siegernimbus von Russlands starkem Mann endgültig ins Trudeln geraten. Im Notfall bleiben dem Regime freilich Wahlfälschung und Manipulation als Optionen, sagt der Innsbrucker Politikwissenschafter und Russlandexperte Gerhard Mangott im derStandard.at-Interview.

***

derStandard.at: Ex-Vizepremier Boris Nemzow spricht im Spiegel-Interview davon, dass eine Revolution in Russland nicht "orange", wie 2004 in der Ukraine, wäre, sondern "braun". Stimmen Sie damit überein?

Gerhard Mangott: Tatsächlich sind durch nationalistische Losungen und Stimmungen mehr Bürger zu mobilisieren als durch liberale und demokratische Konzepte. Letztere sind durch die soziale und wirtschaftliche Verelendung und die korrupten oligarchischen Strukturen der Jelzinjahre der Neunziger noch immer diskreditiert. Den nationalistisch-autoritären Wählern bieten sich in Russland viele Alternativen: die linksnationalistischen Kommunisten, die mindestens so nationalistisch, antisemitisch und rassistisch sind, wie sie kommunistisch sind. Die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Förderation, Anm.) könnte bis  zu zwanzig Prozent der Wählerstimmen erlangen. Viele über die soziale Lage und die korrupten Strukturen unzufriedene Bürger, die 2007 noch für "Geeintes Russland" gestimmt hatten, wenden sich nun den Kommunisten zu. Dies gilt auch für die rechtsradikale LDPR (Liberaldemokratische Partei Russlands, Anm.) von Vladimir Schirinowski, deren Stimmenanteil wohl um bis zu 40 Prozent zunehmen wird.

derStandard.at: Wer sind diese Schichten, die Sie ansprechen?

Mangott: Zumindest ein Drittel der russischen Wähler ist durch nationalistische Losungen mobilisierbar. Der nationalistisch-autoritäre Wählerkern besteht vor allem aus männlichen Russen. Sie sind zwischen 19 und 35 Jahre alt, weisen eine tendenziell geringe formale Bildung auf und leben in großen und mittelgroßen Städten. Linksnationalistische Anhänger sind aber auch in den mittleren Alterskohorten verstärkt vertreten.

derStandard.at: Putins Partei "Geeintes Russland" hat Umfragen zufolge ein Drittel ihrer Wähler verloren. Woran liegt das?

Mangott: Das hat zahlreiche Gründe. 2007 hat die Regimepartei mit 64,3 Prozent ein außerordentlich starkes Ergebnis erzielt, weil Putin die Liste anführte, im Wahlkampf omnipräsent war, vor allem aber weil die Zufriedenheit mit den Autoritäten nach acht Jahren wirtschaftlichen Wachstums und stark steigender Reallöhne sehr hoch war. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die Russland ab dem Herbst 2008 erfasste, ist die soziale Zuversicht und das Vertrauen in die Fähigkeiten und das Geschick der Regierung gebrochen. Zwar hat Russland aufgrund enormer Hartwährungs- und Goldreserven und des 2004 eingerichteten Reservefonds aus Öl- und Gasexporteinnahmen extreme Auswirkungen abwehren können. Putin aber hat dennoch an Strahlkraft verloren und das Vertrauen in seine Fähigkeiten als Führer des Landes ist zurückgegangen. Auch wurde vielen Bürgern deutlich, wie anfällig die wirtschaftliche und soziale Stabilität des Landes ist, wenn Nachfrage und Preis für die russischen Exportwaren - Erdöl, Erdgas, Metalle - einbrechen.

Zweitens vermag es Putin nicht mehr, die Leute ähnlich stark zu mobilisieren wie früher. Seit zwölf Jahren schon ist Putin täglich im Fernsehen zu sehen, mit jeder Kleinigkeit, die er macht. Die Russen sind seiner müde, seine Marke ist zwar noch nicht verbraucht, glänzt aber auch nicht mehr so wie früher. Die medialen Inszenierungen seiner Berater überzeugen nicht mehr; sie wirken immer häufiger peinlich.

Drittens beruhte die Zustimmung zu Putin vor allem darauf, dass in seiner Regierungszeit die soziale und wirtschaftliche Krise und die politische Instabilität der neunziger Jahre ein Ende fanden. Die jungen Wähler aber haben diese instabilen Jahre nicht bewusst miterlebt, Putins Stabilitätsangebot wirkt bei diesen nicht. In manchen Bereichen hat Putin aber einfach auch nicht gehalten, was er versprochen hat. Das betrifft vor allem den Kampf gegen Korruption, die unter Putin noch schlimmer geworden ist.

derStandard.at: Ex-Wahlkampfmanager Gleb Pavlovsky meinte im derStandard.at-Interview, die Entscheidung Putins, erneut Präsident zu werden, lähme Russland auf Jahre hin. Warum tut sich Putin das an?

Mangott: Das hängt sicher mit der Persönlichkeit Putins zusammen. Er ist ein Mann, der alle Aspekte eines mächtigen Amtes zu schätzen und nützen weiß. Auch die Eitelkeit treibt ihn wohl an. Wichtiger aber ist, dass Dmitri Medwedew (derzeit Präsident, künftig Ministerpräsident Russlands, Anm.) daran gescheitert ist, die verschiedenen, auch widerstreitenden Fraktionen der russischen Elite zusammenzuhalten. Es ist ihm nicht gelungen, eine belastbare Autorität zu entwickeln, seine Modernisierungsagenda drohte das bisherige Elitenkartell zu spalten. Putin musste erkennen, dass das Regime massiv an Stabilität verliert, wenn Medwedew weiter regiert. Aus seiner Sicht blieb nur die Rückkehr ins Präsidentenamt. Die Art und Weise aber, wie Putins Rückkehr inszeniert wurde, hat beiden geschadet. Die Reputation Medwedews ist nun stark erschüttert, viele sehen ihn nunmehr als eine schwache und rückgratlose Persönlichkeit. Enttäuscht sind jene, die für möglich hielten, dass sich Medwedew im Amt von seinem Mentor emanzipieren und eine weitere Amtszeit anstreben würde. Aber auch Putins Ansehen ist deutlich gesunken. Dies wird seine Autorität als Vorsitzender der Regierung, die er nach Putins Wahl zum Staatspräsidenten anführen soll, nachhaltig aushöhlen.

Die Führungsrochade ist in den Augen der Bürger eine Charade, die beide diskreditiert. Putin und Medwedew betonten, die Entscheidung über die Kandidatur bei den Präsidentenwahlen sei 'wohl durchdacht' erfolgt und bereits vor Jahren erfolgt. Wenn dies tatsächlich der Fall war, war es sehr ungeschickt, dies offen zu bestätigen; diejenigen, die auf die Reformschritte Medvedevs gesetzt hatten, fühlen sich getäuscht und betrogen.

derStandard.at: Was sind die Knackpunkte bei der Wahl, wo braucht Putin ein besonders gutes Ergebnis?

Mangott: Die Zustimmung in Moskau und in St. Petersburg darf nicht unter eine kritische Schwelle sinken. In der Hauptstadt sind die Zahlen derzeit ernüchternd, 40 plus x Prozent für "Geeintes Russland" wären da schon ein Erfolg. In Moskau konnte der technokratische Bürgermeister Sobjanin nach der Absetzung Luschkows die Lage für Geeintes Russland nicht verbessern. Ähnlich ist es in Sankt Petersburg. Auch hier hat der Schachzug, die unbeliebte Gouverneurin Valentina Matwijenko durch einen grauen, ehemaligen FSB-Mitarbeiter zu ersetzen, die Abneigung gegen "Geeintes Russland" nicht verringert. Die beiden Städte sind für Putin nicht nur wegen ihrer großen Bevölkerungszahl wichtig, sondern sind auch symbolisch vom immenser Bedeutung: die Hauptstadt darf nicht verloren werden.

Wichtig ist für die politische Führung auch die Wahlbeteiligung: diese ist bei Wahlen zur Staatsduma nie besonders hoch, und bewegte sich immer zwischen 55 und 65 Prozent. Dieses Mal wird eine Beteiligung von 58 Prozent erwartet, was zwei Prozent höher wäre als 2007. Nicht nur ein schwaches Abschneiden von "Geeintes Russland" wäre ein Problem für das Regime, sondern auch eine niedrige Wahlbeteiligung; beides erzeugt für die Herrschenden ein Legitimitätsproblem. Es gibt aber Mobilisierungs- und Manipulationstechniken, die Abhilfe schaffen werden.

derStandard.at: Von welchen Methoden sprechen Sie?

Mangott: Man hat mehr als 2,34 Millionen Wahlkarten ausgegeben, die häufig von Bürgern genutzt werden, auf deren Namen sie nicht ausgestellt sind. Ein weiteres Mittel sind mobile Wahlurnen, mit denen Leute zuhause aufgesucht und gedrängt werden, für eine bestimmte Partei zu stimmen. Häufig werden auch unbenutzte Stimmzettel am Ende des Wahltages ausgefüllt in die Wahlurnen geworfen. Einige Oppositionelle sagen deshalb, es wäre unklug sich nicht an der Wahl zu beteiligen, weil diese Praktiken dadurch erleichtert werden. Boris Nemzow, Anführer der 'Partei der Volksfreiheit', die zu den Wahlen nicht zugelassen wurde, fordert die Bürger daher auf, an der Wahl teilzunehmen, aber alle Kandidaten durchzustreichen. Diese Strategie scheint Umfragen zufolge aber nicht aufzugehen, es gibt demnach heute ungefähr gleich viele Wähler, die ungültig wählen wollen, wie bei der letzten Wahl. Bis 2007 hatte es noch die Möglichkeit gegeben, auf dem Stimmzettel das Feld "gegen alle Kandidaten" anzukreuzen.

derStandard.at: Was, wenn das Unmögliche eintritt und "Geeintes Russland" unter die 50 Prozent-Marke fällt?

Mangott: Dieses Ereignis wird nicht eintreten. Zum einen weil die Partei tatsächlich noch eine starke Position auf dem Wählermarkt hat - vor allem auch in kleineren Städten und auf dem Dorf. Zum anderen, weil dieses Ergebnis bei der Auszählung der Stimmen verhindert würde. Der Verlust der absoluten Mehrheit wäre eine dramatische Niederlage des Regimes. Das kann sich das Regime nicht leisten.

Andererseits aber kann sich die Führung auch nicht leisten, die Wahl zu stark zugunsten von "Geeintes Russland" zu fälschen. Eine berechenbare und moderate Niederlage - bis zu zehn Prozent verglichen mit den Wahlen von 2007 - ist besser, als eine eklatante Fälschung der Ergebnisse. Stimmenverluste kann die Führung als Beleg für demokratische Wahlen und freien und fairen Wettbewerb ausgeben. Wird die Stimmenauszählung aber massiv gefälscht und "Geeintes Russland" verliert nur wenig, dokumentiert dies für die Bürger, dass die Wahlen eine groteske Inszenierung waren. Der Legitimitätsverlust für die Herrschenden wäre enorm. (flon/derStandard.at, 2.12.2011)