Die letzten Monate wären leichter zu ertragen gewesen ohne diese quälende Ungewissheit, wie es mit Europa weitergehen wird. Die hat vieles blockiert. Damit soll es, wie aus berufenem Munde zu erfahren war, demnächst vorbei sein: In den nächsten zehn Tagen, und keinen Tag später, sollte sich das Schicksal Europas entscheiden, und wenn Sie dieses lesen, sind es sogar nur noch acht. Dann können auch Österreichs Politiker ihren Geist wieder entspannt wichtigen Dingen zuwenden, endlich kommt lang Aufgestautes wieder in Fluss. Dann erwacht auch die Chance wieder zum Leben, dass die Wiener Volkspartei doch noch einen Obmann / eine Obfrau der Herzen bekommt.

Man ist ja kein Nostalgiker, der den Zeiten nachtrauert, in denen hiesige Parteien wenigstens gelegentlich noch die Kraft hatten, für ein vakantes Amt zwei, wenn nicht gar drei Interessenten aus ihren Reihen zu generieren. Aber allmählich nähert sich der Termin bedenklich, zu dem diese Sedisvakanz nur noch beendet werden kann, indem die interimistische Chefin ihr Gewölbe zusperrt und den Schlüssel bei der Rathauswache abgibt.

Wo früher Griss herrschte, herrscht nun Reißaus. Othmar Karas wäre vielleicht zu haben gewesen, wollte sich seinen Opfergang von Brüssel nach Wien aber mit einem Ministeramt versüßen lassen. Heute denken wohl viele in der ÖVP: So gut wie die Innenministerin hätte er es auch getroffen. In konservativen Kreisen trauert man bereits der Artikulationsgabe eines Karl Marx nach, der immerhin von einer Expropriation der Expropriateurs sprach, was nicht nur zielgenauer, sondern auch weltgewandter formuliert war als jenes diffuse "Her mit den Millionen! Her mit dem Zaster! Her mit der Marie!", mit dem sich Frau Mikl-Leitner einen Platz im Herzen des Proletariats zu sichern versuchte.

Seit feststeht, dass ein Chef der Wiener VP nicht mit einem Ministeramt angefüttert wird, stieg das Desinteresse rasant. Schon Christine Marek hat ja die Funktion höchst unfreiwillig übernommen, in Ahnung der Wahlhilfe ihrer Partei. Zweifellos bestärkt ihr Schicksal seither Staatssekretär Sebastian Kurz, den einstigen MQ-Verwalter Wolfgang Waldner ebenso wie die Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager und den Exchef von Böhler-Uddeholm Claus Raidl darin, der Verlockung zu widerstehen. Als eine Art letztes Aufgebot kam zuletzt sogar Andreas Khol ins Gerücht, aber der könnte Karl Blecha einen solchen Verrat niemals antun. Siamesische Zwillinge kann man trennen, nicht die Heroen des heimischen Rentners. Bliebe als Notnagel ein gewisser Manfred Juraczka, nicht amtsführender Stadtrat - der müsste wohl.

Dabei hatte Spindelegger eine gute Nase, als er sich - siehe Raidl - einen politischen Kopf und wirtschaftspolitischen Strategen ersehnte, der der Wirtschaft gefällt und keine falschen Rücksichten nimmt. Und den Mann gibt es! Warum nicht ihn beknieen, ehe er doch noch eine "zivilisierte" Partei gründet oder Jugendliche gegen die Schuldenkrise aufhetzt? Sein Motto lautet "Wer das Gold hat, der schafft an!" - ein wahrer Seelentrost für die Wirtschaft, nach Mikl-Leitner. Und das Beste an ihm: Wer ihn hat, hat die "Krone". Dort schreibt er weise Kolumnen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2011)