Die umliegenden Geschäfte werden von Schülern der Grundschule in Zhongdian gestürmt.

Foto: An Yan

Schüler, die ihre Mittagspause für einen Besuch im Spielzeuggeschäft nutzen.

Foto: An Yan

Jeden Mittag und Nachmittag steht vor bestimmten Gebäuden in Kunming der Verkehr still. Eine große Menschenmenge versammelt sich vor den Türen, schnell sind Straßenhändler und Essensverkäufer vor Ort und Stelle und selbst als Fußgänger kommt man kaum weiter. Es handelt sich nicht um eine Schlussverkauf und es gibt auch nichts zu verschenken: Es sind Eltern, die vor den Schulen auf ihre Kinder warten.

Die meisten chinesischen Paare dürfen nur ein Kind haben. Ausnahmen bilden Paare, die selbst Einzelkinder waren oder bestimmten Minoritäten angehören. Die Regierung erwartet natürlich, dass diese Regelung eingehalten wird, aber praktisch gibt es vor allem auf dem Land und mit zunehmender Entfernung von Peking kaum Möglichkeiten, dies zu überwachen, denn häufig werden zusätzliche Kinder nicht gemeldet - somit existieren sie für die Regierung faktisch nicht. Aus diesem Grund sind auch Angaben über die Bevölkerungszahlen in ländlichen Gebieten mit Vorsicht zu genießen.

Die "kleinen Monster"

Die glücklichen Menschen aber, die die richtige Anzahl von Kindern ihr Eigen nennen dürfen, hüten die "kleinen Kaiser" besser als jeden Goldschatz. Dem Kind wird jeder Wunsch von den Lippen abgelesen und die gesamte Familie umsorgt den Sprössling 24 Stunden am Tag. Das Familienmitglied, das die Hauptverantwortung für die Erziehung trägt, hat häufig keine andere Beschäftigung mehr, als das Kind morgens in die Schule zu bringen, mittags mit Essen zu versorgen, nachmittags abzuholen und die Hausaufgaben zu überwachen. Zumeist ist dies die Mutter, die dementsprechend nicht arbeiten geht. Man sieht aber auch häufig Großeltern, die die berufstätigen Eltern gerne ersetzen. Denn die Sorge um das Kind ist hier keineswegs eine Bürde, sondern vielmehr die größte Freude, die das Leben zu bieten hat.

Der dadurch entstehende Egoismus in einer Einzelkindgesellschaft ist mittlerweile Gegenstand zahlreicher internationaler und einheimischer soziologischer Forschungen; das extrem schlechte Benehmen mancher Kinder erinnert oft mehr an "kleine Monster" als an königliche Persönlichkeiten.

Vor allem sehr kleine Kinder haben in China die absolute Freiheit, Kinder zu rügen gehört zu den größten Fauxpas. Alles, was ein Kind tut, wird toleriert: Schreien, fremde Menschen stören, Gegenstände entwenden oder zerstören. Mitunter sitzt man im Restaurant und beobachtet eine Familie, wie sie mit stoischer Mine darüber hinwegsieht, dass das Kind sein Essen im gesamten Raum verteilt. In der Karaokebar wird mit Vorliebe die Musikanlage demontiert, die dann vom Vater ergebenst bezahlt werden muss. Im Zug bringt die Mutter das Zahnputzwasser in einer Plastiktüte vom Wasserhahn zum 13-jährigen Sprössling, dem sie dann eigenhändig die Zähne putzt. Doch diese Dienste sind nicht nur altruistisch. Für die Mühe, die von einer Familie investiert wird, wird vom Kind im Gegenzug auch erwartet, dass eine glänzende Schullaufbahn, Karriere und eine eigene Familie realisiert wird, die das Ansehen der Eltern und Großeltern steigert.

Essen, essen, und hungern

Einzelkinder sind in China häufig übergewichtig, Sie werden praktisch pausenlos mit Snacks und vermeintlich gesunden Leckereien versorgt. Das Taschengeld wird zusätzlich in Essen umgesetzt. In der Mittagspause sind die Geschäfte und Restaurants um die Schulen voll besetzt. In den letzten Jahren ist mit KFC, McDonalds und einen Vielzahl von importierten Süßigkeiten die Zahl der übergewichtigen Kinder rasant angestiegen. Dem steht mittlerweile der Trend gegenüber im Jugendalter dünn sein müssen. So machen viele Mädchen und zunehmend auch Jungen während der Pubertät extreme Hungerkuren durch.

Das befremdlichste Verhalten und der größte anfängliche Schock für viele Westler ist jedoch der Umgang der kindlichen Verdauung. Windeln kommen in einigen Teilen Chinas nicht zum Einsatz. Stattdessen hat die Kinderbekleidung einen Schlitz im Schritt. Wenn ein Kind seinen natürlichen Bedürfnissen folgen will, dann tut es das an Ort und Stelle. Manchmal reicht die Zeit, damit die Eltern ein Zeitungspapier unterlegen oder das Kind über einen Mülleimer halten - manchmal nicht. Gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln kann das unangenehme Situationen verursachen. Eltern, die auf den Bus warten, halten deswegen ihren Säugling oft vorsorglich über den Mülleimer. Das Timing passt, zum Leidwesen der Mitreisenden, nicht immer. (An Yan, 1. Dezember 2011, daStandard.at)