Eine Heldin, deren Freiheitswunsch ihrer Epoche voraus ist: Mia Wasikowska als Titelheldin in Cary Fukunagas Verfilmung von "Jane Eyre".

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Cary Fukunaga: "Rochester ist die große Unbekannte."

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Wien - In einer Welt voller Remakes und Sequels ist Charlotte Brontës Jane Eyre eigentlich gut aufgehoben. Denn die Geschichte um die unglückliche Liebe einer jungen Gouvernante zu ihrem geheimnisvollen Arbeitgeber Rochester ist nicht nur ein Klassiker der Literatur, sondern eben auch der Film- und TV-Geschichte. Annähernd zwanzigmal wurde der Stoff adaptiert - darunter findet sich auch Richard Stevensons lange Zeit prägende Verfilmung von 1943, in der Orson Welles die von Joan Fontaine gespielte Titelheldin ein wenig in den Schatten drängte.

"Das war sicher Orson Welles' Schuld", ist US-Regisseur Cary Fukunaga überzeugt, der diese Filmfassung von allen am besten kennt. Der 1977 geborene Sohn eines japanisch-schwedischen Paares, der mit Sin nombre ein vielbeachtetes Debüt um mexikanische Grenzgänger drehte, hat Jane Eyre nun ein weiteres Mal verfilmt. Die Australierin Mia Wasikowska (Tim Burtons Alice im Wunderland) und der omnipräsente Michael Fassbender (A Dangerous Method) spielen die Hauptrollen.

Fukunaga geht mit der Vorlage nachgerade umsichtig um und verzichtet auf oberflächliche Aktualisierungen. "Mir ging es darum, der Vorlage so gut wie möglich zu entsprechen", erzählt der Regisseur im Standard-Interview. "Das Gegenwärtige mag sich darin abzeichnen, wie ich bestimmte Dinge sehen, an meinem Tonfall, der mehr im Jetzt verankert ist. Aber wir wollten nichts aufpeppen." Dass Jane Eyre, dieser Urtext der romantisch schmachtenden Heldin im düsteren Setting der Moore, das noch Züge der "gothic fiction" trägt, auch mit einer an romantischen Vampiren gesättigten Populärkultur korrespondiert, will Fukunaga nicht anerkennen:

"Ich finde, das sind zwei voneinander getrennte kulturelle Ereignisse. Die Twilight-Saga ist eine Mormomen-Geschichte, es geht vor allem um Entsagung - das Ganze ist eine Form von Pop, der sich hauptsächlich an Tweenies richtet. Die "Gothic"-Erzählweise der Brontës dringt hingegen in eine viel komplexere, tiefgründigere Welt vor. Und sie war immer populär."

Gleichwohl ändert Jane Eyre aus dramaturgischen Überlegungen die Erzählstruktur und rollt das Geschehen retrospektiv auf. Der letzte Teil des Romans, als Jane beim Vikar St. John Rivers und seinen beiden Schwestern aufgenommen und verpflegt wird, ist der Fluchtpunkt, von dem aus auf den Weg der Heldin - von ihrer Kindheit als Waise, ihrer entbehrungsreichen Zeit im Internat bis zu den Ereignissen auf Thornfield - kontinuierlich zurückgeblickt wird.

"Der dritte Akt ist der schwierigste Teil des Buches", meint Fukunaga. Der Roman werde um vieles langsamer, für einen Spielfilm hätte das eine gehörige Bremswirkung zur Folge. Dennoch wollte er die Passage weiter erhalten: "Es ist ein eminent wichtiger Teil, denn Jane trifft eine Entscheidung zwischen dem Vikar und Rochester. Das definiert sie. Jede Figur wird durch ihre Entscheidungen bestimmt - ohne solche bleiben sie für uns doch uninteressant."

Um keine Meinung verlegen

Die Annäherungen zwischen Rochester und Jane Eyre inszeniert Fukunaga nüchterner als gewohnt, aber ohne an Intensität zu verlieren. Besonders atmosphärisch setzt er die zweite Begegnung der beiden um, in der die eigensinnige, um ihre Meinung nicht verlegene Gouvernante erst realisiert, dass es sie war, die ihn vom Pferd stürzen ließ. Rochester, der in seinem Sessel wie ein Vampir thront, verstrickt sie in eine Konversation, die zur einen Hälfte Verhör, zur anderen Verführung ist.

Es gebe definitiv Stellen im Buch, die Gänsehaut erzeugen, meint Fukunaga auf die Frage, wie sehr er sich dem Schauerlichen verpflichtet sah. "Ein Teil des Mysteriums ist dieses Haus, die Geschichte, die dahinter verborgen liegt, das Unbekannte daran. Doch Rochester ist definitiv die größte Unbekannte. Es ist mein Job als Regisseur, ihn auf eine Weise zu präsentieren, die ihn anziehend, aber auch furchteinflößend macht."

Nicht der einzige Aspekt des Films, in dem mit unterschiedlichen Genre-Stilmittel gespielt wird: Fukunaga versucht dem Kostümfilm, so wie ihn Regisseure wie James Ivory geprägt haben, seine biedermeierliche Wohlanständigkeit auszutreiben, ohne ihn gleich radikal zu entrümpeln - die Britin Andrea Arnold geht da etwa in ihrer aktuellen Adaption von Wuthering Heights noch weiter. Für Jane Eyre, die sich nach der Welt vor dem Fenster sehnt, ist die Auswahl in jede Richtung zu beschränkt. Ihr Freiheitsdrang ist der Zeit voraus.

Ob Fukunaga, als Angehöriger einer anderen Kultur, genau dies in dem Stoff erkannt hat? "Es stimmt wohl, dass man als Außenseiter bestimmte Facetten einer Kultur wie das erste Mal wahrnimmt. Man ist feinsinniger für die Unterschiede, als wenn man in der entsprechenden Kultur aufwächst. Was Jane Eyre betrifft, ich sah etwas in ihr - ich habe mich nicht mit ihr identifiziert, aber ihr Charakter, ihre Art, Dinge zu tun, hat mich sehr bewegt." (Dominik Kamalzadeh  / DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2011)