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Der Kampf gegen Stuttgart 21 ist verloren. Weiteren Protest gegen den Bahnhof findet Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nun eher sinnlos.

Foto: Reuters / Morris Mac Matzen

Zudem könne man auch mit Steuererhöhungen Wahlen gewinnen, sagt Winfried Kretschmann - der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs - zu Birgit Baumann. Am Mittwoch ist er in Wien.

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Standard: Sie müssen in Stuttgart nun einen Bahnhof bauen, den die Mehrheit der Grünen nicht will. Wie wird das funktionieren?

Kretschmann: Wenn der Souverän entscheidet, dann hat er auch das letzte Wort. Das ist das Wesen der direkten Demokratie, das muss man - freudig oder in Demut - akzeptieren. Bei den Grünen sehe ich diesbezüglich kein Problem. Wir haben im Konsens besprochen, dass wir den Volksentscheid akzeptieren, auch wenn es schwer fällt.

Standard: Aber gibt es diesen Konsens auch in der Basis? Viele Gegner wollen weiter gegen S 21 protestieren. Ist das für Sie in Ordnung?

Kretschmann: Demonstrieren ist ein Grundrecht. Jeder kann das wahrnehmen, wie er es für richtig hält, es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Im Fall des Stuttgarter Bahnhofs halte ich es allerdings nicht mehr für sinnvoll. Sicher ist jetzt mancher enttäuscht. Man sollte aber auch nicht übersehen, dass mehr als 40 Prozent gegen den Bahnhof votierten. Bei der Landtagswahl im März bekamen die Grünen, die als einzige gegen den Bahnhof waren, 25 Prozent. Das heißt: Wir sind weiter in bürgerliche Schichten eingedrungen.

Standard: Warum schnitten die Gegner, die zuvor so laut protestierten, so schwach ab?

Kretschmann: So schlecht ist das Ergebnis nicht: Wir hatten eine Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent, also war die Volksabstimmung allein deswegen schon ein Sieg der Demokratie. Aber wir hatten in der Auseinandersetzung einen eindeutigen Schwachpunkt, das waren die Ausstiegskosten. Wir konnten diese nicht wirklich beziffern, es standen Zahlen zwischen 350 Millionen und 1,5 Milliarden Euro im Raum. Da konnten die Befürworter einfacher argumentieren, in dem sie erklärten: Es wird viel kosten, egal, ob der Bahnhof kommt oder nicht

Standard: Wann ahnten Sie, dass es nicht in Ihrem Sinne läuft?

Kretschmann: Es gab ja Umfragen, die die Befürworter vorne sahen. Zuletzt hatte ich schon noch gedacht, dass wir auf der Überholspur sind. Aber ich habe mich getäuscht. An Wunder kann man nur glauben, man kann sie nicht bestellen.

Standard: Sehnen Sie sich manchmal wieder nach der Oppositionsbank? Da mussten Sie nicht so viele an der Basis enttäuschen.

Kretschmann: Ich sehne mich keine Minute danach zurück. Jetzt, wo ich gestalten kann, habe ich zwar größere, aber auch viel produktivere Sorgen.

Standard: Wie erklären Sie sich Ihre große Beliebtheit?

Kretschmann: Gerade in einem Hochtechnologie-Land wie Baden-Württemberg sind grüne Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Mittelstand weiß: Nur wer Ressourcen schont und grüne Produktlinien anbietet, kann am Weltmarkt konkurrieren. Ich versuche besonnen zu bleiben und die Bürgerschaft in mein Handeln miteinzubeziehen. Die Lehren aus S 21 müssen aber sein: Man muss vor Projektbeginn abstimmen lassen, nicht erst nachher. Dennoch zeigte das Votum, dass wir die Bürger ernst nehmen und sie nicht mehr - wie in 60 Jahren CDU-Herrschaft - von oben nach unten durchregiert werden.

Standard: Wie oft müssen Sie sich als Regierungschef verbiegen?

Kretschmann: Ich bin in einem angemessenen, angenehmen Alter, da hat man einiges auf dem Buckel. Die Biegekräfte sind immens, man sollte Acht darauf geben, dass man immer wieder in die Ausgangsstellung zurückschnellt.

Standard: Der Höhenflug der Grünen flaute deutlich ab. Gräbt Ihnen Kanzlerin Angela Merkel mit dem AKW-Ausstieg das Wasser ab?

Kretschmann: Ein Höhenflug kann nicht ewig andauern, es war klar, dass da Rückschläge kommen. Aber ich bin zuversichtlich, dass das Thema nachhaltiges Leben ein Jahrhundertthema bleiben wird.

Standard: Merkel hat auch die Wehrpflicht ausgesetzt und ist nun für Mindestlöhne. Wie können sich die Grünen profilieren, wenn ihnen die CDU die Themen wegnimmt?

Kretschmann: Die Union muss in allen Fragen, ob Bildung, Wehrpflicht oder Atomausstieg immer nachkorrigieren und zwar in unsere Richtung. Das wird man auch beim Steuerkonzept sehen. Konservative haben den Anschluss an moderne Fragen verloren.

Standard: Das Konzept der Grünen sieht eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden vor. Kann man damit beim Mittelstand und im grünen Bürgertum Wahlen gewinnen?

Kretschmann: Wir können die Schulden abbauen durch Aufgabenkritik und Ausgabenminderung. Aber wir müssen auch die Einnahmenseite verbessern und die Mehreinnahmen in Bildung investieren. In Baden-Württemberg haben wir die Grunderwerbssteuer erhöht und investieren dieses Geld gezielt in frühkindliche Förderung. Außer einem leichten Grummeln gab es keinen Protest. Wenn die Leute wissen, dass man etwas Sinnvolles mit dem Geld macht, akzeptieren sie es.

Standard: Sie kommen heute zu den Grünen in Wien. Was verbindet Sie mit diesen?

Kretschmann: Wir haben natürlich enge Beziehungen, und mit Alexander Van der Bellen bin ich gut befreundet.

Standard: Auch in Wien gibt es Proteste gegen ein Großprojekt, den Lobautunnel. Was raten Sie Ihren Parteifreunden?

Kretschmann: Die anderen Parteien versuchen immer, uns Grünen das Attribut ,Gegner von Infrastrukturprojekten' an die Backe zu kleben, das war bei Stuttgart 21 nicht anders. Dagegen muss man sich wehren, in dem man nicht einfach nur Nein sagt, sondern ganz klar Alternativen aufzeigt. (DER STANDARD-Printausgabe, 30.11.2011)