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Klicken, Schnarren, Pfeifen: Was die Laute der Delfine bedeuten, bleibt ein Geheimnis. Immerhin lassen sie sich mit Verhaltensmustern kombinieren.

Foto: REUTERS/Kimimasa Mayama

Es ist eine vollkommen andere Welt. Ihre Bewohner bewegen sich darin fast schwerelos und so frei wie kaum denkbar. Ein gewaltiger Raum, weltumspannend und in seinen Tiefen in ewige Finsternis gehüllt. Aber still ist es dort nicht, kein bisschen. Milliarden Meeresorganismen füllen den Ozean mit einer wahren Kakofonie aus Geräuschen. Am berühmtesten sind die Gesänge der Wale sowie das Klicken, Schnarren und Pfeifen der Delfine. Verblüffende Repertoires, die Wissenschafter schon lange zu enträtseln versuchen. Mit nur wenig Erfolg.

In unserer Gesellschaft hat sich derweil ein überaus positives, mitunter gar verklärendes Bild der Meeressäuger etabliert. Alle lieben Flipper, den scheinbar immer fröhlichen Großen Tümmler (Tursiops truncatus), und CDs mit Walmusik gehören zum Standardangebot eines jeden Esoterik-Fachgeschäfts. Forscher wie die Meeresbiologin Elisabeth Henderson von der Scripps Institution of Oceanography im kalifornischen La Jolla dagegen setzen lieber auf Abhörtechnik und nüchterne Beobachtung. Sie hängen komplexe Hydrofon-Systeme ins Wasser, nehmen jeden Ton auf und observieren gleichzeitig das Verhalten von Delfinschwärmen.

So lassen sich bestimmte Tonkategorien mit Verhaltensmustern kombinieren. Vom Verstehen der Codes natürlich keine Spur, aber so viel ist klar: Das Klicken spielt bei der Jagd eine entscheidende Rolle. Die Tiere orten damit ihre Beute und koordinieren wohl auch ihr Vorgehen untereinander. So bekommen alle den Bauch voll.

Es könnte allerdings noch mehr dahinterstecken. Der kanadische Zoologe Hal Whitehead von der Dalhousie University in Halifax untersucht mit seiner Arbeitsgruppe seit vielen Jahren das Kommunikationsverhalten von Pottwalen (Physeter macrocephalus). Diese weltweit größte Zahnwal-Spezies ist rund um den Globus verbreitet, interessanterweise jedoch scheinen sich die Tiere nicht wahllos zusammenzutun.

Dialekte der "Walsprache"

Anhand des Lautrepertoires der Meeressäuger ist es Whitehead und Kollegen gelungen, unterschiedliche Clans auszumachen. Die Forscher haben zum Beispiel die Klicktöne weiblicher Pottwale analysiert und dabei festgestellt, dass es in der "Walsprache" offenbar so etwas wie unterschiedliche Dialekte gibt. Anhand dieser charakteristischen Laute konnten die Experten allein im östlichen Pazifik fünf verschiedene Pottwal-Clans identifizieren.

Weibliche und junge Pottwale leben in Familienverbänden von zehn bis zwölf Muttertieren mit ihrem Nachwuchs, die sich gelegentlich für einige Tage zu größeren Gruppen vereinen. Wie Whitehead belauschen konnte, handelt es sich dabei meist um Angehörige desselben Clans. Vermutlich, so der Zoologe, sind die verschiedenen Dialekte das Ergebnis eines sozialen Lernprozesses.

Man könne deshalb sogar von einer kulturellen Weitergabe sprechen, und die Unterschiede in der kulturellen Identität der Pottwale seien für ihre Populationsstruktur vielleicht sogar von größerer Relevanz als Gene und Geografie. Ähnliche Beobachtungen haben Forscher bei Orcas und anderen Walarten gemacht. Die Bedeutung der vielfältigen Tonrepertoires lässt sich gleichwohl noch immer nicht entschlüsseln. Und somit bleibt auch die Frage nach der Intelligenz von Delfin & Co weiterhin umstritten.

Wie stark sich die Forschungsmethoden auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt haben, verdeutlicht der Wissenschaftshistoriker und Medienexperte Jan Müggenburg von der Universität Lüneburg gerne anhand der Studien des US-Wissenschafters John Lilly - zuletzt bei der kürzlich abgehaltenen Tagung "Unter Wasser. Lebensformen zwischen Ozean, Aquarium und Computer" am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften IFK in Wien.

John Lilly versuchte in den Fünfzigern und Sechzigern als Neurophysiologe und Biophysiker eine direkte Kommunikation zwischen Menschen und Delfinen zu ermöglichen. Lillys Hauptmotivation war folgende: Irgendwann, so glaubte er, werde der Homo sapiens bei seinem Vordringen ins Weltall auf andere intelligente Wesen stoßen. Um sich mit denen verständigen zu können, sollte man bereits vorher geeignete Kommunikationsverfahren entwickeln.

Delfine schienen John Lilly ideale Trainingspartner zu sein. Er hielt sie für hochintelligent, weil die Meeressäuger eine vergleichbare Hirngröße wie der Mensch aufweisen. Die Grundlage für einen Austausch müsste somit vorhanden sein, aber es fehlte noch eine gemeinsame Sprache.

Sprachunterricht für Delfine

Anstatt zu versuchen, das komplexe Delfin-Lautspektrum zu enträtseln, machte sich Lilly daran, einigen Großen Tümmlern Englisch beizubringen - mit zum Teil sehr kruden Methoden. Anfangs sollten implantierte Elektroden das Belohnungszentrum im Gehirn der Tiere stimulieren, wenn diesen die richtige "Aussprache" menschlicher Worte gelang. Nichts anderes als klassische Konditionierung eben. Später probierte John Lilly, einen Tümmler durch enges Zusammenleben mit einer seiner Assistentinnen sprachfähig zu machen. Beide, Mensch und Meeresbewohner, hatten über einen gemeinsamen Wohnraum mit Flachwasser praktisch ständig Kontakt miteinander. Doch auch diese Intensivbetreuung zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Der Delfin blieb unverständlich.

Kein Wunder, meint Jan Müggenburg. Der US-Neurophysiologe saß einem gewaltigen Denkfehler auf. "Lilly folgte dem Phantasma, dass er tatsächlich versuchte, mit einem Tier zu kommunizieren." Stattdessen aber lief er nur seinen eigenen Vorstellungen hinterher. Der Forscher, sagt Müggenburg, verglich intelligente Kreaturen wie Menschen und Delfine mit Computern, in seinen Augen waren sie so etwas wie biologische Rechenmaschinen. Die Kommunikation zwischen den beiden Spezies wäre folglich nur ein Interface-Problem, welches durch geeignete Technik überwindbar sei. Für Lillys Studien bedeutete dies das notwendige Scheitern. Er versuchte nicht, die Meeressäuger zu verstehen, sondern sie in sein Bild einzupassen. Eine in der Forschung nicht seltene Verirrung.

"Aus der Distanz sehen wir, dass kulturelle und wissenschaftshistorische Aspekte dazu führten, dass Lilly die Delfine nur aus dieser Perspektive betrachten konnte", erklärt Jan Müggenburg. Wissenschafter sind eben auch Produkte ihrer Zeit.

Um den Geheimnissen der Fremden im Ozean wirklich auf die Spur zu kommen, müssten wir Menschen uns auf ein anderes Bild des Anderen einlassen können, meint Jan Müggenburg. Weg von den maschinenhaften Metaphern, die auch heute noch das Denken prägen. Wie jedoch ein solcher neuer Ansatz zum Verstehen der Tiere aussehen sollte, vermag der Geisteswissenschafter nicht vorherzusagen. Und womöglich werden uns diese Welten für immer verschlossen bleiben. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2011)