Druckgrafik Man Rays aus der Sammlung Kaplan.

Foto: Bar-Hama/VBK

Wien - Salvador Dalí nannte sie "Spasmografien": Wie kleine Blitze zieht sich Krixikraxi über das Blatt, mit dem der Surrealist das Buch Onan von Georges Hugnet bedachte. Die spitz ausschlagenden Zeichen sind Ergebnis einer künstlerischen Versuchsanordnung, bei der Dalí - wie eine Inschrift festhält - gleichzeitig mit der rechten Hand zeichnete und mit seiner Linken masturbierte. So gesehen machen auch die Flecken auf einer anderen Grafik des Erotomanen misstrauisch.

Das in den Druckverfahren Heliogravüre und Kaltnadel produzierte Blatt gehört dem US-Sammler Gilbert Kaplan. Dessen selten vollständige Kollektion surrealistischer Druckgrafik bereichert nun den diesjährigen Schwerpunkt der Albertina, den das Museum derzeit mit der großen Magritte-Retrospektive krönt. Magritte stand auch am Anfang von Kaplans "love affair" mit dem Surrealismus; der Belgier schuf allerdings erst ab 1962 grafische Reprisen seiner Gemälde.

Ganz anders Max Ernst, der seine Karriere als Druckgrafiker begann. Als Beitrag für einen Kölner Kunstwettbewerb entstand 1919 seine frech betitelte Serie Fiat modes pereat ars (Es lebe die Mode, die Kunst soll zugrunde gehen), die unverkennbar eine Hommage an die metaphysischen Bildwelten Giorgio de Chiricos darstellt. Als die Preisjury die Blätter als Affront abtat, ließ sie Ernst in Feuer aufgehen - nur wenige Exemplare entgingen der Asche.

Die von der dunklen Seite der Vernunft so faszinierten Surrealisten produzierten ihre Druckgrafiken meistens in kleinen Auflagen und für die literarischen Werke gleichgesinnter Dichter. "Die Surrealisten standen zwar dem Kommunismus nah, aber ihre Grafiken entstanden in der Regel nur für einen Kreis von Liebhabern - ein gewisser Widerspruch", erklärt die Kuratorin Gunhild Bauer die in Büchern und Zeitschriften abgedruckten Werke, die Gilbert Kaplan im Verlauf von vierzig Jahren aufgespürt hat.

Mit der "écriture automatique" erfanden die Surrealisten eine Produktionsmethode, die bar rationaler Kontrolle das Unbewusste ans Tageslicht bringen sollte. Der Zufall sollte aber auch im planvollen Prozess der Druckgrafik wirksam werden, wenn etwa André Masson den Plattengrund mit Textilien bearbeitete oder Max Ernst in seiner wundervollen Serié noire et rouge Schwarz- und Rotdruck variantenreich übereinanderlegte.

Einen ihrer vielen Höhepunkte findet die Schau in den Kleinoden von Yves Tanguy, deren strukturalistische Komplexität und virtuose Machart fesselt. Auch Picasso sympathisierte mit dem Surrealismus. Seine Radierung Modell mit surrealistischer Skulptur kann auch als gelinder Spott auf den Fetischismus der Kunstrichtung gelesen werden, wenn er einem klassisch schönen Frauenakt eine aus disparatem Zeug konstruierte Figur gegenüberstellt. (Nicole Scheyerer, DER STANDARD/Printausgabe 30. November 2011)