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Eine Geburtenstation in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Taiwan hat mit durchschnittlich 0,9 Kinder pro Frau eine der niedrigsten Fertilitätsraten der Erde. Welchen Einfluss Bildung auf die Zahl der Nachkommen hat, diskutieren Experten am Mittwoch und Donnerstag auf einer Fachtagung in Wien.

Foto: REUTERS/Pichi Chuang

Wien - In Äthiopien bekommen Frauen ohne Schulbildung im Durchschnitt mehr als sechs Kinder. Haben sie aber zumindest bis zum Alter von 15 Jahren eine Schule besucht, sinkt die Kinderzahl im Schnitt auf nur zwei. Für den Demographen Wolfgang Lutz zeigt dieses Beispiel deutlich den großen Einfluss von Bildung auf die Geburtenrate. Am Mittwoch und Donnerstag wollen Experten bei der vom Institut für Demographie der Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit dem IIASA organisierten Konferenz "Education and the Global Fertility Transition" in Wien die Bedeutung der Bildung auf die Fertilität im Vergleich mit anderen Faktoren analysieren.

In der Demographie stehe ein großes Phänomen im Mittelpunkt, "das entscheidend ist für die Zukunft der Weltbevölkerung: wie geht es weiter mit dem demographischen Übergang", erklärte Lutz, Direktor des ÖAW-Instituts und Leiter des World Population Program am Internationalen Institut für Angewandte System Analyse (IIASA). Alle Gesellschaften würden diesen Prozess durchlaufen. In Österreich etwa habe der Übergang schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen, als durch bessere Ernährung, sauberes Wasser, etc. zuerst die Sterberaten und mit einer Verzögerung von einigen Jahrzehnten dann auch die Geburtenraten zu sinken begonnen haben.

Drei Denkschulen

Was die Treiber und Ursachen dieses Prozesses sind, wird in der Demographie heftig diskutiert, wobei bis vor kurzem drei Denkschulen dominierten, so Lutz. Die klassische Interpretation sieht im Rückgang der Kindersterblichkeit die treibende Kraft, die in der Folge auch zu einem Geburtenrückgang führe. Auch die allgemeine Modernisierung, vor allem die ökonomische und soziale Entwicklung, würden oft als Grund genannt. Der dritte Faktor sei die Verfügbarkeit von Familienplanungsmethoden.

"Wir sagen, dass das alles Mitfaktoren sein können, aber der eigentliche entscheidende Grund ist die zunehmende Bildung der Frauen", erklärte Lutz. Höhere Bildung helfe, die Kindersterblichkeit zu senken, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den Zugang zu Methoden der Familienplanung zu verbessern.

Vor allem in Ländern, die sich im Prozess des demographischen Übergangs befänden, "gibt es überhaupt keine Zweifel, dass dort ein ganz starker Zusammenhang zwischen Bildung und Fertilität besteht". In Staaten mit schon niedriger Fertilitätsrate seien die Unterschiede viel schwächer, aber noch immer bemerkbar. So bleiben etwa in Österreich oder Deutschland bis zu 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos.

Rätselhafte Kausalität

Noch nicht restlos geklärt sei die Kausalität beim Zusammenhang Bildung-Fertilität: So könnte man auch sagen, dass ein afrikanisches Mädchen, das mit 15 Jahren schwanger wird und deshalb seine Schule abbricht, wegen einer frühen Geburt geringere Bildung hat. Dennoch sieht Lutz einen "massiven kausalen Mechanismus, der sicher dort am stärksten ist, wo es den Übergang von einer eher fatalistischen Einstellung zum Kinderkriegen hin zu einer geplanten Zahl an Kindern gibt - und das ist ganz stark mit Bildung verbunden".

Dass das nicht nur ein akademischer Streit ist, zeigt die ganz reale politische Frage, welche Investitionen getätigt werden sollen, um das Bevölkerungswachstum in Afrika oder anderswo einzudämmen. "Unsere Antwort, von der wir glauben, dass sie am besten wissenschaftlich abgesichert ist, liegt in der Kombination der Bildung von Frauen und der Verfügbarkeit von kulturell jeweils akzeptablen Empfängnisverhütungsmethoden", so Lutz.

Der Demograph hat im Vorjahr den "österreichischen Nobelpreis", den Wittgenstein-Preis, erhalten und bündelt seine Aktivitäten an ÖAW, IIASA und als Professor für Sozialstatistik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) im demografischen Forschungszentrum "Wittgenstein Centre for Demography and Human Capital". (APA)