Brigitte Thalhammer bezeichnet sich als Ordensfrau: "Bei Schwester denkt man an die liebe kleine Schwester."

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Jede Ordensfrau hat ihr eigenes Zimmer. Zusammen leben sie in einer WG und teilen sich Küche, Bad und Auto.

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Die Kapelle.

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Am Esstisch treffen sich die Ordensfrauen zum Abendessen.

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Das Wohnzimmer.

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Im Speisesaal des Krankenhauses essen die Frauen zu Mittag.

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Ein Bild zeigt das letzte Abendmahl.

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Brigitte Thalhammer in der Kapelle des St. Josef Spitals.

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Die Kapelle von außen.

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Thalhammers Büro. Sie ist Provinzoberin der Salvatorianerinnen.

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Brigitte Thalhammer ist keine Ordensfrau, wie aus dem Bilderbuch. Statt der Ordenstracht mit dem berühmten Schleier trägt sie eine lässige Leinenhose und ein graues T-Shirt. Auf ihrem Schreibtisch liegt Jean Zieglers unveröffentlichte Rede, die er bei den Salzburger Festspielen halten wollte. Ihr freundliches Schlafzimmer zeigt die Salvatorianerin augenzwinkernd mit dem Worten: "Und das ist meine Zelle."

Der Ungehorsam-Initiative kann sie viel abgewinnen. Auch ihr widerstreben einige Entwicklungen in der katholischen Kirche. "Da werde ich ziemlich unrund", sagt Thalhammer. Dass Frauen in der katholischen Kirche die Priesterinnenweihe verwehrt bleibt, weil das angeblich "vom Herrn Jesus so gestiftet" ist, sieht sie nicht ein. Warum sie dem Pflichtzölibat für Priester wenig abgewinnen kann, sie aber für Ordensfrauen "sexuelle Beziehung zu einem Mann oder einer Frau" ablehnt, erklärt sie im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Es gibt einen Priestermangel – gibt es auch einen Nonnenmangel?

Thalhammer: Ja sicher. Wobei sich das Wort Nonne nur auf sogenannte monastische Gemeinschaften (Ordensgemeinschaften, deren Mitglieder ein Leben in der klösterlichen Abgeschiedenheit der Klausur führen, Anm.) bezieht. Wir haben auch einen Mangel an Ordensfrauen.

derStandard.at: Warum gibt es diesen Mangel?

Thalhammer: Das hat viele Gründe. Zum einen sind die Bilder vom Ordensleben oft sehr verschroben. Man kommt gar nicht auf die Idee, dass das eine Lebensform sein könnte. Viele fragen sich vielleicht auch, warum sie Teil dieser Kirche sein sollen, die immer fragwürdiger wird. Und letztlich ist auch die Gottesfrage nicht mehr selbstverständlich. Grundsätzlich sind Bindungen auf Lebenszeit in der Krise, auch in den Ehen. Viele wollen sich nicht in die Ungewissheit eines Lebens hinein für ein ganzes Leben entscheiden.

derStandard.at: Wie viele junge Frauen kommen jährlich in ihren Orden?

Thalhammer: Es wäre schön, wenn jährlich eine käme. Aber das ist nicht so. Momentan sind zwei Schwestern im Juniorat. Das ist die Zeit vor der ewigen Profess.

derStandard.at: Warum will sich unsere Gesellschaft insgesamt weniger binden?

Thalhammer: Es gibt viel mehr Wahlmöglichkeiten. Früher war alles starrer und genauer vorgegeben. Dieser Umbruch erstreckt sich auf alle Lebensbereiche: Die Arbeit, den Wohnort, die Partnerschaft. Die Frage ist: wie kann eine Lebensentscheidung in einer sich ständig verändernden, pluralen Gesellschaft stimmig bleiben?

derStandard.at: Wann ist die letzte Ordensfrau zu ihnen gestoßen?

Thalhammer: In den letzten fünf Jahren gab es zwei Anwärterinnen. Eine ist von sich aus wieder gegangen, bei der anderen haben wir gesagt, dass wir uns das nicht vorstellen können.

derStandard.at: Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um bei Ihnen dabei sein zu können?

Thalhammer: Als erstes – eine Sehnsucht nach Gott und nach dem Leben. Dann gibt es Vorgaben vom Kirchenrecht: man darf zum Beispiel nicht verheiratet sein. Uns ist wichtig, dass die, die bei uns eintreten wollen, zuvor eigenständig gelebt haben. Wer nicht alleine leben kann, kann nicht in Beziehungen leben. Das gilt für Partnerschaften aber auch für Ordensgemeinschaften. Man muss in einer Gemeinschaft leben können, mit Mitschwestern, die ich mir nicht ausgesucht habe und die ganz andere Prägungen mitbringen.

derStandard.at: Was müssen Sie im alltäglichen Leben teilen?

Thalhammer: Man kann es sich am ersten Blick wie eine Wohngemeinschaft vorstellen. Wir teilen die ganz praktischen Angelegenheiten wie Küche, Bad und Auto und leben gleichsam in Gütergemeinschaft. Tragend ist die gemeinsame Mitte, die für uns Jesus, der Salvator, der Heiland ist. Aus dieser Gottesbeziehung heraus gestalten wir unser persönliches und gemeinsames Leben.

derStandard.at: Sie haben gesagt, es gibt immer weniger neue Ordensschwestern...

Thalhammer: Mir ist der Ausdruck Ordensfrauen am liebsten. Bei Schwester denkt man an die liebe kleine Schwester. Es ist lange untergegangen, dass Ordensschwestern Frauen sind.

derStandard.at: Okay. Also sie haben gesagt, es gibt immer weniger neue Ordensfrauen, auch weil sich die Frage stellt, ob man mit dieser Kirche noch kann. Da sind wir nun bei der Ungehorsams-Initiative. Können Sie damit etwas anfangen?

Thalhammer: Für mich ist es spannend, wie dieses Wort "Ungehorsam" eingeschlagen hat. Die Anliegen, die zum Ausdruck gebracht werden, sind ja alt. Sie werden immer wieder vorgebracht und zwar aus gutem Grund. Es gibt bereits Lösungen für wiederverheiratete Geschiedene, für Priester, die eine Familie haben. Diese Lösungen werden von der Kirche inoffiziell getragen, aber sie stehen im Widerspruch zur Grundausrichtung. Ich verstehe, dass man keine Dämme brechen will. Aber ist es nicht eine Überforderung des Menschen wenn in der Unauflöslichkeit der Ehe, die Unauflöslichkeit und Unbedingtheit der Beziehung Gottes zu uns Menschen ausgedrückt werden soll? Dass die Kirche etwa im Falle einer Scheidung nicht ganz offiziell sagen kann, die Barmherzigkeit Gottes ist noch einmal größer, das verstehe ich nicht.

derStandard.at: Sie waren selbst auch einmal Pastoralassistentin. Ist es Ihnen ein Anliegen, dass sie selbst oder Frauen insgesamt die Priesterweihe empfangen können?

Thalhammer: Ja. Wenn man sagen würde, die Ablehnung der Frauen als Priesterinnen ist darin begründet, dass es schwierig ist mit einer ganz langen Tradition zu brechen, dann könnte ich damit leben. Wenn man das so begründet, würde ich sagen, gut – dann schauen wir, wie wir darauf hinarbeiten können, damit sich das ändert. Aber wenn man sagt, "das ist vom Herrn Jesus so gestiftet, weil er nur Männer berufen hat", da werde ich ziemlich unrund.

derStandard.at: Sie sehen auch Frauen zum Priesteramt berufen.

Thalhammer: Ja. Das ist nicht vom Geschlecht abhängig. Wenn man so "geschichtlich" argumentiert, dann müssten zuerst alle katholischen Priester Juden werden und verheiratet sein.

derStandard.at: Viele Fragen sich, warum Frauen überhaupt in der katholischen Kirche aktiv sind, die von Männern dominiert wird?

Thalhammer: Es ärgert mich einiges, aber ich will mir meine Kirche nicht nehmen lassen. In dieser Kirche gibt es viele sehr engagierte Frauen und Männer – einigen von diesen verdanke ich vieles – und das will ich leben und weiterschenken. Da bin ich für eine sehr reiche und tiefgehende Tradition dankbar. Jesus will den Menschen zu einer Freiheit verhelfen, die gar nicht so leicht auszuhalten ist. Mir fällt da die Geschichte vom Großinquisitor von Dostojewski in "Die Brüder Karamasow" ein. Vor der Versuchung doch alles selber in die Hand zu nehmen und der Macht zu verfallen, ist niemand gefeit – und das ist natürlich auch in der Kirche ein Thema.

derStandard.at: Unterstützen Sie die Ungehorsam-Initiative?

Thalhammer: Ich kann sie gut verstehen und auch die Inhalte mittragen. Es ist schwierig, wie diese Debatte in der Öffentlichkeit geführt wird, aber intern finde ich sie ganz wichtig. Konflikte sollten am besten direkt ausgetragen werden.

derStandard.at: Kann die Ungehorsam-Initiative etwas erreichen?

Thalhammer: Ich habe da so meine Zweifel. Die Mühlen mahlen langsam. Die Dringlichkeit ist noch mal bewusster geworden, auch den Verantwortlichen. Aber die sind anscheinend auch sehr in der Zwickmühle.

derStandard.at: Die Zahl der Kirchenaustritte steigt und die Kirche macht sich Gedanken, was man dagegen tun kann. Wie lautet Ihr Rezept?

Thalhammer: Ich denke, es geht darum, glaubwürdig aufzutreten und jene Sprache und Formen zu finden, die die bedingungslose Zuwendung Gottes auch erfahrbar machen. Es braucht die tiefe innere Verankerung im Geheimnis Gottes, um sich so glaubwürdig für die Würde jedes Menschen einsetzen zu können. Ein Ausdruck wäre, wenn Wiederverheiratete und Geschiedene zur Kommunion gehen dürften.

Glaubwürdig wäre auch, wenn man direkt sagen könnte, es gibt den Predigtdienst von Laien – und Gottseidank gibt es ihn. Aber offiziell darf es ihn nicht geben. Oder es wäre der Wahrheit und Ehrlichkeit sehr gedient, wenn die priesterliche Berufung nicht an die zölibatäre Lebensform geknüpft wäre. So leben manche Priester ihre Beziehungen im Verborgenem, was niemandem dient.- Es wird von der Bevölkerung oft auch akzeptiert. Ich komme aus einer Pfarre, wo es ganz offiziell war, dass der Pfarrer eine Freundin hat.

derStandard.at: Sollen auch Ordensfrauen Beziehungen haben dürfen? Nicht nur zu Gott, sondern zu Männern oder Frauen?

Thalhammer: Natürlich leben wir Beziehungen – der Mensch ist ein Beziehungswesen. Aber wenn ich mich einer Ordensgemeinschaft anschließe, verzichte ich ganz bewusst auf exklusive Beziehungen beziehungsweise auf die sexuelle Beziehung zu einem Mann oder einer Frau. Das ist eine Berufung zu einer Lebensform, die für viele unverständlich ist, die es aber augenscheinlich gibt – und in der man ganz gut leben kann. Anders ist es, wenn die priesterliche Berufung mit der Berufung zur Ehelosigkeit verquickt wird. Damit wird man beiden Berufungen nicht gerecht.

Bei manchen Priestern merkt man, die sind wunderbar beziehungsfähig, die sind oft sehr geschätzt von den Leuten, die vermitteln mit ihrem ganzen Leben das "Da-Sein" Gottes für uns Menschen – aber sie sind nicht für ein eheloses Leben gebaut. Es wäre besser, sie dürften heiraten und als Priester erhalten bleiben und würden da ganz viel in Bewegung bringen.

derStandard.at: Ist die Kirche heute noch zeitgemäß?

Thalhammer: Es gibt Strukturen in ihr, Teile, die nicht zeitgemäß sind. Und genauso gibt es in der Kirche Menschen und Projekte, die der Zeit voraus sind.

derStandard.at: Was zum Beispiel?

Thalhammer: Es hat von kirchlicher Seite immer Vorreiter-Projekte gegeben. Zum Beispiel ist die Pfarre Schwechat sehr engagiert in der Arbeit mit Flüchtlingen. Sie zeigen: Man kann auch miteinander leben. Bei uns Salvatorianerinnen haben wir schon länger das Thema Menschenhandel aufgegriffen.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, wenn sich eine Partei wie die ÖVP das christlich-soziale an die Fahnen heftet?

Thalhammer: Ich habe noch nie verstanden, warum die ÖVP dem Christentum näher sein sollte, als eine andere Partei. Da setze ich mich jetzt sehr in die Nesseln, aber manches was von den Sozialisten kommt und manches, was von den Grünen kommt, ist dem durchaus näher. Ich habe einmal bei der Wahlkabine.at mitgemacht und bin zu meiner Überraschung bei den Kommunisten gelandet. Interessant wie man aus so grundverschiedenen Weltanschauungen und Glaubensüberzeugungen zu manchen gemeinsamen Anliegen kommen kann. Meine Wahlentscheidung habe ich aber nicht von diesem Ergebnis beeinflussen lassen.

derStandard.at: Was sind die Aufgaben der Salvatorianerinnen? Wie schaut ihr Arbeitsalltag aus?

Thalhammer: Von der Tradition her ist es so, dass sich Ordensfrauen vorwiegend um Krankenpflege und Erziehung kümmern. Das sind die klassischen Bereiche, die von den Ordensfrauen übernommen worden sind.
Von unserer Gründung her sind wir weiter. Da geht es darum, Jesus zu verkünden als Heiland der Welt mit allen Mitteln, die die Liebe eingibt. Von dem her haben wir einen ganz weiten Auftrag. Heute arbeiten Schwestern in verschiedensten Bereichen – z. B. in der Pastoral, in der Erwachsenenbildung – oder eine ist Künstlerin.

derStandard.at: Wovon leben die Ordensfrauen?

Thalhammer: Von der Hände Arbeit. Unsere Vorgängerinnen haben sehr, sehr viel aufgebaut. Manche Schwestern haben eine staatliche Pension, wenn sie Lehrerin waren. Für das andere sind wir selber zuständig. Wir müssen schauen, dass das, was wir erspart und aufgebaut haben auch fürs Alter und unsere Aufgaben hier in Österreich und weltweit reicht.

derStandard.at: Bekommt eine Ordensfrau bei Ihnen ein monatliches Gehalt?

Thalhammer: Wir haben Gütergemeinschaft. Das heißt, alle Gehälter gehen auf ein Konto. Manche nehmen eine Art Taschengeld und das andere wird bereitgestellt. Andere machen ein Budget. Ich muss am Anfang des Jahres schauen, was brauche ich ungefähr, welche größeren Ausgaben stehen an: Was brauche ich für Urlaub? Was brauche ich für Kurse? Was brauche ich für die neue Brille? Das Budget wird in der Gemeinschaft besprochen. Und dann kriegt man für ein Jahr dieses Geld, damit sollte man auskommen. Wenn es was Unvorhersehbares gibt, dann gibt es einen Nachtrag.

derStandard.at: Sie sind Provinzoberin bei den Salvatorianerinnen. Wie wird man das eigentlich?

Thalhammer: Man wird gewählt. Das ist ein höchst demokratischer Prozess. So etwas gibt es auch in der Kirche. Bevor eine Provinzoberin gewählt werden kann, müssen die Delegierten zum Provinzkapitel gewählt werden. Alle 91 Schwestern der Salvatorianerinnen in der Provinz Österreich sind an der Wahl beteiligt. Alle sind auch an der Erstellung eines Dreiervorschlags beteiligt, der von der weltweiten Leitung unserer Gemeinschaft in Rom bestätigt wird. Die Delegierten des Provinzkapitels wählen dann aus dem Dreiervorschlag.

derStandard.at: Wie alt waren Sie, als Sie Ordensschwester wurden?

Thalhammer: Beim Eintritt in den Orden war ich 31. Die Entscheidung, eine Ordensfrau zu werden ist langsam gereift. Ich bin in keiner religiösen Familie aufgewachsen. Der Gottesbezug ist gewachsen. Das was mich angerührt hat, ist schließlich immer mehr in die Mitte meines Lebens gekommen. Bei einem Kurs zum Thema "Geistliche Begleitung" habe ich Priester und Ordensleute kennengelernt und festgestellt, dass das sehr lebendige Leute waren. Und so ist die Frage in mir aufgestiegen, ob das Leben im Orden auch eine Lebensform für mich sein könnte. Die Entscheidung ist gefallen, dass ich meine Menschen- und Gottesbeziehung in dieser Lebensform leben und gestalten möchte. (Katrin Burgstaller, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 30. November 2011)