Die beunruhigenden Gefilde im Off der Norm waren sein Metier: Im Kino der 60er-Jahre war Klaus Kinski die Verkörperung des Grauens, das mit starrem Auge durch die Ritzen der Harmlosigkeit blinzelte. Das Filmarchiv widmet ihm nun eine große Retrospektive.
Wien – Man versuche, sich Klaus Kinski vorzustellen als Besitzer eines Reihenhauses mit Gardinen und gepflegtem Vorgarten: Mehr bedarf es nicht, um zu wissen, was dieser Mann mit Sicherheit nicht verkörperte – im Film so wenig wie in seinem Leben.
Klaus Kinski war die personifizierte Antithese zu jener adrett gebügelten, gut erzogenen Wohlanständigkeit, in der Deutschland sich im Nachkriegskino eine heile Hülle über die Grauen der eigenen Vergangenheit zog.
Zur Beschwichtigung taugte Kinski nicht. Der Mann, der Anfang der 70er-Jahre eine Welttournee plante, in der er als "Jesus Christus Erlöser" Texte aus dem Neuen Testament rezitierte, ein Christus, der nach zehn Minuten erst einmal wutschnaubend von der Bühne stampfte, nicht ohne das Publikum in der Berliner Deutschlandhalle als "dumme Säue" und "Scheißgesindel" tituliert zu haben, der Mann, dem das Geld wie Eis zwischen den Fingern schmolz, der die Frauen liebte – und die Männer auch, den Skandal, den Luxus und den Schmutz: Der Mann taugte definitiv nicht zum deutschen Durchschnittsbürger.
Weswegen seine Filmkarriere sich auch großteils jenseits der deutschen Grenzen abspielte: in Italien, in Frankreich und in Hollywood – wobei Kinski bekannt dafür war, seine Zusagen weniger von der Qualität des Regisseurs als der Höhe der Gage abhängig zu machen. Im Gegenteil: Angebote von Fellini, Visconti, Pasolini soll er argwöhnisch ausgeschlagen haben. Kinski war der Mann für das B-Movie, für den Genrefilm. Italowestern, Horror, Sex & Crime boten das Umfeld, in dem der Schauspielmaniac sich bewegte: Vielleicht fand der Wahrheitsfanatiker die Ehrlichkeit, die er suchte, im Schund.
In jedem Fall fand er die Rollen. Die Besessenen, die Gierigen, die Menschen im Off der Norm. Wahnsinnige, zärtliche Sadisten, Menschen ohne Zentrum, taumelnd zwischen den Extremen, die sie in sich tragen. Nur das Zittern einer Sekunde benötigte Kinski, um die Gefühlsskala von größter Zartheit zu bodenloser Verachtung zu durchmessen.
Der Unkontrollierbare
Von Anfang an spielte er – auf der Bühne wie im Leben – die Rolle des Unkontrollierbaren. Wie weit er sich dabei selbst unter Kontrolle hatte, lässt sich nur erahnen, zu virtuos spielte er mit den Erwartungshaltungen seines Publikums. Seine hohe Professionalität und Arbeitsdisziplin rühmen die Kollegen.
Kinski war die Inkarnation des beunruhigenden Triebs – von seinen ersten Rollen an: als ewiger Mörder in der Edgar-Wallace-Reihe ab 1960, mit der der ehemalige Kultrezitator von Rimbaud und Villon seine Filmkarriere startete, oder in Italowestern wie Sergio Corbuccis Leichen pflastern seinen Weg (1967), als Jack the Ripper (1976) im gleichnamigen Streifen.
Und schließlich holte ihn die Kunst, der er im Film so kunstvoll aus dem Weg ging, doch noch ein: in der Person Werner Herzogs, mit dem er fünf Filme drehte, die wohl seine besten sind. Vielleicht, weil Herzog den Menschen Kinski vor die Kamera lockte, anstatt sich mit dem virtuosen Schauspieler zu begnügen. Von Aguirre, der Zorn Gottes (1972) über Woyzeck, Nosferatu (beide 1978), Fitzcarraldo (1981) bis zu Cobra Verde (1987) entblößte Werner Herzog die Urgewalt Kinski vor dem Kameraauge. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2003)