Markus Mittringer

Wien - Dass Bilder Bilder nach sich ziehen, gilt auch für Fotos. Eigentlich hatte Henri Cartier-Bresson ja Malerei studiert. Dem eigenen Malen und Zeichnen kamen dann aber andere Bilder dazwischen: Dem ungarischen Reportagefotografen Martin Munkacsi (1896-1963) ist es indirekt zu verdanken, dass aus Henri Cartier-Bresson "HCB" wurde - einer der bekanntesten Fotografen von überhaupt. Munkacsi veröffentlichte Anfang der 30er-Jahre Bilder von Läufern, Schwimmern und Rennfahrern, und Bresson soll angesichts dieser Aufnahmen erkannt haben, dass das Entscheidende im Moment liegt ("decisive moment") und die 35-mm-Kamera das perfekte Werkzeug ist, den rechten Moment auch einzufangen:

"Fotografieren heißt den Atem anhalten, um alle Fähigkeiten zu bündeln, die flüchtige Wirklichkeit einzufangen. Es ist genau dieser Augenblick, der aus der Beherrschung eines Bildes eine zutiefst physische und intellektuelle Freude macht."

Und also hat er fortan seine Kleinbildkamera "zwischen Haut und Hemd" der Personen geschoben, die gerade selbstverloren in entscheidenden Momenten aufgehalten waren, demnach vom intimen An-/Eingriff nichts bemerkten. Viele prominente Künstler, etwa Henry Matisse, hat er derart kalt erwischt, aber auch arglose Passanten oder hoch konzentrierte Ordnungshüter, die gerade im Begriff waren, rabiate Demonstranten im Pariser Quartier Latin in Schach zu halten.

Unter einen Abzug aus jenem elternprägend wilden Jahr 1968 schrieb HCB Jahre später: "Ni Henri ni Georg ne sont sur cette photo." Womit gemeint war, dass Henri und Georg durchaus unter den Demonstranten hätten sein können. Georg, das war Georg Eisler, auch einer, der es verstand, das Zeitlose an Momenten festzuhalten. Mit dem einen Unterschied, das HCB aus Tausenden von Negativen das Entscheidende zu filtern verstand, Eisler mit Zeichenstift und Ölfarbe das allgemein Betreffende aus der alltäglichen Situation ebenso wie aus politisch bewegenden Momenten zu schälen vermochte.

Kennen gelernt haben die beiden Chronisten sich Mitte der 80er-Jahre - und dabei ihr gemeinsames Interesse am Menschen als ebenso individuelles Wesen wie konstituierender Teil anonymer Massen entdeckt. Es entstand, was man Künstlerfreundschaft nennt. Deren Folge war nicht nur ein reger Austausch von Meinungen und Gedanken, sondern ebenso von Material. HCB widmete Eisler Fotos, der wiederum stellte sich mit Skizzen und Ölbildern ein. Und: Die beiden begannen sich abzulenken. Cartier-Bresson nahm das Zeichnen wieder auf, gemeinsam engagierte man Aktmodelle, Georg hielt Henri fest, wie der gerade seine Füße zu Papier brachte, und auch die Katze kam als Motiv ins Spiel. Der "Jahrhundertfotograf" und Österreichs vermeintlicher Außenseiter Georg Eisler - die Konsequenz seines Festhaltens an der Figur, am Gegenstand, ließ ihn immer wieder aus dem Fokus des Zeitgeistes geraten - fanden das Weltgeschehen gemeinsam in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Aus dem Nachlass Georg Eislers stammt das Konvolut von 30 Bressons, das zusammen mit Arbeiten Eislers am Schauplatz für Fotografie - Westlicht - zwei Möglichkeiten bietet: beider Arbeiten aus der "privaten" Perspektive heraus neu zu entdecken. Oder: nachzuvollziehen, wie Lebenswerke, die auf völlig gegensätzlichen Zugängen (Cartier-Bresson kommt vom Surrealismus) basieren, zu einem gemeinsamen Nenner finden. Bis 3. 8.