Die fast zur Bedeutungslosigkeit geschrumpfte sozialistische Opposition empfindet kaum verhüllte Schadenfreude über die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Ungarns durch die Ratingagentur Moody's, zumal dieser Schritt auch von der gesamten internationalen Presse als eine schallende Ohrfeige für die Orbán-Regierung betrachtet wird. Manche ausländischen Kommentatoren schreiben - auch im Hinblick auf die angekündigte Wiederaufnahme von Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) - beinahe genüsslich von einem "Scherbenhaufen" des lautstark propagierten "Freiheitskampfes" gegen das Auslandskapital, von einem "Canossagang" Viktor Orbáns.

Schadenfreude ist jedoch aus mehreren Gründen unangebracht. Erstens wurde die Bonität Ungarns schon während der acht Jahre der sozial-liberalen Regierungen aus welchen Gründen immer so beschädigt, dass die Staatspleite im Oktober 2008 nur durch einen sogenannten Standby Kredit des IWF, der EU und der Weltbank in der Höhe von 20 Milliarden Euro vermieden werden konnte. Zweitens werden die in Ungarn engagierten westlichen Großbanken (aus Österreich, Italien, Deutschland und Belgien), die für Zweidrittel des Kreditvolumens verantwortlich zeichnen, wegen der dramatischen Verschlechterung der Finanzlage empfindliche Verluste hinnehmen müssen.

Drittens, und das ist wohl die wichtigste Überlegung: Der rasche Verfall der Landeswährung gegenüber dem Euro (um 13 Prozent seit Jahresbeginn) und die restriktivere Kreditvergabe ebenso wie andere negative Erscheinungen betreffen vor allem die Kleinstverdiener, die kleinen Gewerbetreibenden und die von massiven Entlassungen bedrohten öffentlichen Bediensteten und Beamten.

Fast alle bereits vor der Herabstufung der Kreditwürdigkeit veröffentlichten Voraussagen der Wirtschaftsforschungsinstitute bezweifelten die offizielle Schätzung des Wirtschaftsministeriums über eine Wachstumsrate von 1,5 Prozent im nächsten Jahr. Die Experten rechneten bereits vor den letzten Hiobsbotschaften mit sinkendem Konsum und schrumpfenden Investitionen sowie mit einer Abschwächung der Exporte. Dass der Budgetentwurf für 2012 mit einem Forintkurs von 268,5 zum Euro gerechnet hatte, zeigte laut Experten fehlenden Realitätssinn, zumal am Freitag vorige Woche der Kurs bei über 316 Forint stand.

Eine der kompetentesten unabhängigen Ökonomen, Maria Zita Petschnig wies allerdings in einem offenherzigen Interview am Samstag darauf hin, dass nicht die Herabstufung der Bonität, nicht der Verfall des Forint und nicht die Flucht aus den Staatspapieren die wahre Katastrophe sei, sondern die Reaktion der Regierung. Diese begreife noch immer nicht die Realitäten, wolle das Unrettbare retten und phantasiere über eine Verschwörung gegen Ungarn samt der Jagd nach vermeintlichen Sündenböcken. Durch ihre sinnlosen Einfälle und improvisierten Tricks habe die Fidesz-Regierung ihre internationale Glaubwürdigkeit total verloren. Frau Petschnig ist nicht allein mit diesem harten Urteil, wenn es auch bis zur Stunde aus dem konservativ-nationalen Lager noch niemand wagt, Orbán persönlich und seinen Kurs zu kritisieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2011)