Nötige Vorsorge oder Panikmache? Banken und Ratingagenturen produzieren immer mehr Analysen, die sich mit dem Zusammenbruch der Eurozone beschäftigen.

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Was wäre, wenn: Moody's, die Bank of America und ein Devisenbroker denken über den Kollaps der Eurozone nach. Kritiker sprechen von einem "schwachsinnigen" Ansatz. Unterdessen kommen Elitebonds ins Gerede.

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Wien/London - Der Währungshändler ICAP agiert normalerweise im Hintergrund. ICAP ist der größte Devisenbroker der Welt. Das Unternehmen bietet Banken Plattformen zum Kauf und Verkauf von Währungen an. Jeden Tag werden über ICAP-Systeme Geschäfte im Volumen von 130 Milliarden Euro abgeschlossen. Doch außerhalb der Bankenwelt ist das Unternehmen kaum bekannt.

Das hat sich am Montag geändert, nachdem bekannt wurde, dass ICAP sich auf den Zusammenbruch der Eurozone vorbereitet. Techniker des Londoner Brokers haben eine Umstellung der Systeme durchgespielt. Der Clou: Beim Modell wurde eine Wiedereinführung der Drachme, der früheren griechischen Währung, getestet. "Nach Anfragen beunruhigter Kunden haben wir den Test durchgeführt, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein", sagt ICAP-Sprecher John McCready. Nachsatz: "Die Drachme diente als Schablone. Funktioniert es mit der Drachme, ließe sich im Ernstfall der Handel mit weiteren Währungen wiederaufnehmen."

Nicht nur ICAP spielt derzeit "Was wäre, wenn"-Szenarien durch. Am Freitag veröffentlichte Bank of America (BofA) eine Analyse über das Ende der Währungsunion. Die BofA berechnete dabei bereits, welcher Wechselkurs für die italienische Lira oder den französischen Franc angemessen wäre. Am Montag legte die US-Ratingagentur Moody's einen Report über den Teilzusammenbruch der Eurozone nach. Das Risiko weiterer Staatspleiten und der Austritt von Ländern aus der Eurozone "ist nicht länger vernachlässigbar", schreiben die Moody's-Analysten.

Bisher habe keine der Reformen, wie die Vergrößerung des Eurorettungsschirms oder die Ankündigungen weiterer Einsparungen, die Anleger beruhigen können. Moody's spricht von einer generellen Schwäche der EU-Institutionen (keine Kontrolle der Haushalte, keine schnelle Möglichkeit für Vertragsreformen). Je länger die Vertrauenskrise andauere, umso wahrscheinlicher würden weitere schwere Schocks.

Sollten Länder wie Griechenland oder Spanien den Euro verlassen, würde sich die Krise über die gemeinsamen Finanzsysteme in andere Länder ausbreiten. Auch Staaten mit Triple-A-Rating wie Österreich würden dann einer Abstufung ihrer Bonität kaum entgehen können. Aber es wird noch schlimmer: Selbst ohne neue Staatspleiten, in einem optimistischen Szenario, rechnet Moody's mit der Abstufung weiterer Nicht-Triple-A-Staaten.

Was aber soll man von diesen Szenarien halten? "Diese Planspiele sind typisch für eine Krise. Analysten, Ökonomen und Politiker sind orientierungslos. In ihrer Verstörung produzieren sie ständig irgendwelche Berichte, die erst recht den Eindruck erwecken, Europa versinke im Durcheinander", meint Wifo-Ökonom Stephan Schulmeister. "Ernst nehmen kann man das alles nicht. Dinge wie der Zusammenbruch der Eurozone lassen sich nicht in Prognosen gießen." Dass die BofA versucht die Stärke der Lira zu berechnen, sei "schwachsinnig".

Vorsichtiger ist Wolfgang Schwarzbauer vom Institut für Höhere Studien: "Ich glaube nicht, dass die Eurozone zerbrechen wird. Aber es muss nicht immer schlecht sein, neue Denkansätze anzubieten."

Einen neuen Denkansatz könnte auch die Politik verfolgen. Welt online berichtete, die sechs Eurostaaten mit der höchsten Bonität würden darüber beraten, künftig gemeinsame Anleihen zu begeben. Diese "Elitebonds" könnten sie zu günstigen Zinsen loswerden und einen Teil der Geldes an Wackelländer wie Italien überweisen. Berlin dementierte die Meldung umgehend. Im Wiener Finanzministerium war schlicht von einer "Fantasiegeschichte" die Rede. (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2011)