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Langlauf und Biathlon verzeichnen Zuwächse, weil nicht alle den Trubel auf den Pisten schätzen.

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Foto: AP photo/Christof Stache

"Drückt ab, sobald ihr das Schwarze im Auge habt, vielleicht kommt die Gelegenheit nicht wieder", rät Hansi Stöckl, der Trainer, an diesem Tag. Gar nicht so einfach, wenn man im Spagat mit aufgestützten Ellenbogen auf dem Boden liegt, das Herz auf und ab hüpft wie ein Basketball beim Dribbeln und die Hand im gleichen Rhythmus zittert. Dabei reicht ein Zucken im Zeigefinger, dass die Patrone das Gewehr verlässt, mit voller Wucht gegen die schwarze Scheibe knallt und diese - im Glücksfall - auf weiß umspringt. Einer der Freizeitbiathleten hat getroffen, seine Fans applaudieren.

Im Fritz-Fischer-Camp in Ruhpolding, wo tagsüber Weltspitzensportler wie Michael Greis und Magdalena Neuner trainieren, probieren sich am Abend 28 Teilnehmer während eines Schnupperkurses im Biathlon.

Vor dem Staffelrennen mit Schießübungen und Strafrunden haben sich die Teilnehmer mit Handball auf Skiern aufgewärmt und danach eine Einführung in den Skatingschritt bekommen. "Skaten ist auch wichtig", sagt Biathlon-Guru Fritz Fischer "aber Schießen ist wie das Spielen eines Musikinstrumentes, entweder man hat Talent dafür oder nicht". Der ehemalige Profi-Sportler und Goldmedaillengewinner ist Co-Trainer der deutschen Herren-Nationalmannschaft und betreibt das nach ihm benannte Biathlon-Center in der Chiemgau-Arena, und immer wenn er kann, begrüßt er die Teilnehmer persönlich.

Treffpunkt auf dem Arena-Gelände für Touristen wie Biathleten ist stets die "Langlaufhütte". Eine weiß-blaue Fahne flattert davor. Drinnen erwartet einen bayerische Bilderbuchgemütlichkeit. Deckenbalken aus Holz reichen fast bis auf den Kopf. Auf dem Herd brodelt Kaffeewasser. Im Regal stehen säuberlich aufgereiht 300 Paar Skischuhe zum Verleih, und die Skier dazu stapeln sich im Kabuff dahinter. Inhaber Jochen Plenk klemmt einen Ski zum Wachsen in die Halterung. "Früher gab's kein Biathlon, da nannte man das Patrouille" sagt der Langlaufpionier. Im Winter 1941/42 war das Material so knapp, dass das nationalsozialistische Regime die Bürger im Rahmen der Aktion "Ski für die Front" aufrief, private Bretter fürs Militär zu spenden.

Doch das ist lange her, und zum Glück hat das Biathlon inzwischen seinen negativen Anstrich als "Kriegssport" verloren. Jochen ist seit über 50 Jahren im Langlaufgeschäft. Er kennt alle, die auf den Fotos an der Wand zu sehen sind: Martina Glagow, Rico Groß, Kati Wilhelm ... Plenks Familie hat viel zur Entwicklung des Sports beigetragen: Die Handwerksfamilie eröffnete 1969 die erste Langlaufschule Deutschlands und brachte 1970 den ersten serienmäßig gefertigten Schuppenski auf den Markt.

Schulfrei für die Kinder

Seit Ende der Siebzigerjahre fanden mehr als 20 Weltcups und drei Weltmeisterschaften in Ruhpolding statt. Anfangs hatten die Kinder bei solchen Ereignissen noch schulfrei, damit man ein paar Zuschauer mehr zählen konnte. Beim letzten Weltcup kamen knapp 90.000 Biathlon-Fans in einer Woche. Das beschauliche Tal quillt dann regelmäßig über. Die Betten sind bis ins 40 Kilometer entfernte Salzburg ausgebucht. Einige Fans sitzen auf Klappstühlen vor den Hotels und warten auf ein Autogramm ihres Idols. Und am Abend wollen sie heftig feiern. Um so erstaunter sind sie dann, wenn sie erfahren, dass die Gaststätten nur bis 21 Uhr warme Küche haben.

"Das restliche Jahr über sind die meisten Urlauber 50 plus und wollen Ruhe und Romantik", verteidigt Tourismusdirektor Haßlberger das Dörfliche. "Wir wollen kein Ischgl werden", sagt er. Den jährlichen Ausnahmezustand in ihrem Ort mögen die Einwohner nicht besonders. Im letzten Jahr soll die Empörung groß gewesen sein, als in einer Bar eine Oben-ohne-Bedienung gesichtet wurde. Trotzdem sind die "Ruaperdinger" stolz auf ihr Biathlon, zumal von 29. Februar bis 1. März 2012 die nächste Weltmeisterschaft stattfindet. Dafür wurde die Chiemgau-Arena komplett umgebaut und ist jetzt für 30.000 Besucher gerüstet.

Ob Restaurantinhaber Jochen Grill dann noch mehr Windbeutel verkauft? "Wohl kaum", meint er, die Würstelbuden in der Arena sind bei jedem Weltcup Konkurrenz. Aber das kann ihm egal sein. In seinem Lokal "Windbeutelgräfin" am Ortsrand von Ruhpolding sind die luftigen Teigberge der Renner. Der Geschäftsmann mit den schneeweißen Haaren verkaufte im letzten Jahr 65.000 Windbeutel. "Übereinandergestapelt wären sie so hoch wie der Mount Everest", sagt Grill.

Der gelernte Koch ging einst mit dem Urenkel von Richard Wagner zur Schule. Das inspirierte ihn dazu, einen Windbeutel Lohengrin zu kreieren. Das 850 Kalorien-Teil - ein mit Kirschen und Schlagobers gefüllter Schwan - ließ er patentieren und zählt seitdem die vernaschten Exemplare. In den gemütlichen Gewölberäumen trifft sich ganz Ruhpolding. Jochen kommt vorbei, die Biathleten und Fritz Fischer haben hier ihren Stammtisch. Ein Schild vor dem Eingang informiert, dass er am 28. 8. 1997 den 1.750.000. Windbeutel aß. Oft stehen die Gäste vorm Lokal Schlange und warten auf einen freien Platz in dem historischen Gebäude, das 1949 erstmals von einer baltischen Gräfin eröffnet wurde.

In der Chiemgau-Arena geht das Staffelrennen in die letzte Runde. Damit die Gruppen gleich groß sind, hilft in der Gegenmannschaft der Sohn von Fritz Fischer aus. Aber der geübte Biathlet darf der Gerechtigkeit wegen nur mit einem Ski fahren und beim Schießen zieht Trainer Sven ihn stets am Ohrläppchen, damit er nicht auf Anhieb trifft. Josefine lacht über den Spaß.

Sie ist die einzige Frau in der Gruppe und stubst ihren Mann an den Hinterkopf - der Abschlag zur letzten Runde. Er sprintet los. Schließlich erreicht er den Schießstand, wirft sich auf die Matte im Schnee, Hansi gibt ihm das Gewehr und nacheinander werden alle Scheiben weiß. Gewonnen! (Monika Hippe/DER STANDARD/Printausgabe/26.11.2011)