"Nine to five" ist die Devise von Reinhard Stanzl, der täglich in der Nationalbibliothek an seiner Diplomarbeit werkt. Bis Jänner muss sie fertig sein, damit er noch als Magister abschließen kann.

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Wien - Aufgrund des endgültigen Auslaufens der "alten" Diplomstudienpläne geraten derzeit viele Studierende unter Termindruck: Die Frist zum letztmöglichen Abschluss ihres Studiums rückt näher, und bis dahin müssen oft noch einige Hürden genommen werden: Betreuer finden, Diplomarbeit schreiben, Diplomprüfung erfolgreich bestehen.

Ende November 2011 wird es an der Uni Wien die letzten Chemie-Magister geben, im April folgen Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft. An der WU Wien laufen nach einer teilweisen Fristverlängerung nun sämtliche Diplomstudien im Herbst 2012 aus. Wer bis dahin nicht abschließt, wird auf das Bachelor-Master-System umgestellt, was in vielen Studienrichtungen einen erheblichen Mehraufwand bedeutet. Reinhard Stanzl ist einer der betroffenen Diplomanden auf den letzten Metern zum Magistertitel. Nicht nur das Schreiben an der Diplomarbeit hält ihn auf Trab, zusätzlich engagiert er sich in einem Portal, um sich mit anderen Philosophiediplomanden auszutauschen - auch das kostet Zeit. Der UNISTANDARD hat den Diplomanden einen Tag lang begleitet.

7.52 Uhr Ein grauer, kalter Dienstagmorgen im November. Auf dem Bahnsteig warten zahlreiche Pendler auf den Zug Richtung Wien-Südbahnhof. Seit Mitte September steigt Stanzl täglich mit ein: "Ich habe begonnen, die Diplomarbeit als Job zu begreifen. Ich versuche mich hinzusetzen und von 'nine to five' zu arbeiten."

9.00 Uhr Die Nationalbibliothek öffnet ihre Pforten. Als einer der ersten Benutzer sperrt Stanzl Mantel und Tasche in den Spind und betritt, ausgerüstet mit Laptop und stapelweise Unterlagen, die Bibliothek ...

9.15 Uhr ... und nimmt seinen angestammten Platz im Austriaca-Lesesaal ein. Die Bedingungen hier sind ideal: Eine gut beleuchtete Lernumgebung und viel Ruhe. Das Schreiben in der Bibliothek sei eine Art Selbstüberlistung: "Zu Hause ist es unmöglich. Die Möglichkeiten zur Ablenkung sind einfach zu groß, auch wenn es nur Fensterputzen ist."

10.15 Uhr Stanzl gönnt sich zeitunglesend in der Bibliothekslounge eine Pause und zum mitgebrachten Frühstück einen Becher Automatenkaffee.

12.00 Uhr Die ersten ausformulierten Sätze sind zu Papier gebracht. Das Schreiben fällt nicht leicht, zumal Stanzl seine wissenschaftstheoretische Arbeit zu philosophischen Aspekten der Quantenphysik auf Englisch verfasst: "Ich bin ein fürchterlich langsamer Schreiber und brauche viel Zeit, um richtigen Text zu produzieren."

14.00 Uhr Stanzl sitzt nach einer kurzen konzentrationsbedingten Kaffeepause wieder im Lesesaal: "Auch wenn es manchmal nicht so funktioniert, man wartet und starrt vielleicht einmal eine Viertelstunde aufs Blatt", beschreibt er den Schreibprozess.

16.00 Uhr Zwischendurch ein Blick in die Mailbox, wo Nachrichten der Mailinglist eintreffen, die Stanzl mit ebenfalls von der Frist betroffenen Diplomanden der Philosophie initiiert hat: "Ich habe gemerkt, dass viele Leute denselben Stress hatten. Im Oktober habe ich Zettel aufgehängt und in Foren gepostet. Es haben sich viele Interessierte gefunden."

Per Mail und Jour fixe tauschen sich die Studierenden aus und versuchen sich zu unterstützen: "Der Termin macht schon ordentlich Druck. Gemeinsam lassen sich Hindernisse aber rascher sehen." Durch die Plattform soll der Umgang mit der Bürokratie und das Schreiben der Diplomarbeit optimiert werden. Stanzl: "Alles, um den Termin zu schaffen, denn eine Fristverlängerung für die Philosophen hat der Senat abgelehnt."

18.00 Uhr Ein anstrengender Arbeitstag geht dem Ende zu: "Meistens treibt mich der Hunger aus der Bibliothek", sagt Stanzl, dessen Plan es ist, die Diplomarbeit heuer abzuschließen, damit genügend Zeit für die Korrektur bleibt. Wie viel er täglich weiterbringt, kann Stanzl schwer sagen: "Im Durchschnitt eine Seite pro Tag, die halbwegs brauchbar ist."(Stefanie Preiner, UNISTANDARD, Printausgabe, November2011)