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Foto: Theatercombinat / Claudia Bosse

An diesem Schauplatz würde man eigentlich eher einen Nachrichtenbeitrag erwarten. Über Terroristen vielleicht oder versteckte Bürgerkrieg-Guerillas. Alles in dieser ehemaligen Druckerei im 15. Bezirk schreit: Krise! Verfall! Die Räume sind leer, die Teppichböden verschossen oder schon herausgerissen. Ein paar Zimmerpflanzen stehen noch herum, und aus manchen Decken grünt es hervor, als würde sich die Natur wieder zurückmelden. Es ist aber "nur" Regisseurin Claudia Bosse mit dem zweiten Teil ihrer Reihe "Politische Hybride": Dominant Powers. Was also tun?.

Wie bereits in Vampires of the 21st Century be- und hinterfragt Bosse unsere Realität, speziell die politische und medial vermittelte. Bosse verknüpft Erzählungen über zeitgenössische Dramen, über nordafrikanische Revolutionen, britische Krawalle oder amerikanische Crashs mit der prototypischsten aller Schicksalstragödien: Ödipus. Freiwillige aus zwei Generationen formieren diesen Chor.

Und auch in diesem Fall ist das zuerst einmal die komplette Überforderung durch außer Rand und Band geratene Diskurse. Eine der drei Schauspielerinnen führt das Publikum von Beginn an durch das weitläufige Netz leerstehender Büroräume. Sie deklamiert ihre Texte im Stechschritt, ihre Diktion ist fast schon als brutal zu bezeichnen. Kein Makel, sondern Methode: Bosse will kein voreingenommenes Hören. Sie will ein neues, hinterfragendes Hin-Hören. Hier reicht es nicht, bereits vorgekaute Gedanken zu konsumieren. Der Lohn: neue Einsichten in Zusammenhänge, die man eigentlich zu kennen glaubte. Denn tatsächlich, was einem hier unterkommt, das kennt man schon. Hat man alles schon hunderte Male gehört und gesehen: Berichte von Krieg, Gewalt, Leid, Tod. Diskurse von Widerstand und Revolution. In einem der leeren Räume steht ein Fernseher, auf dem wieder und wieder Nachrichtensendungen über den toten Gaddhafi zu sehen sind. In einem anderen Zimmer liegen en masse verstreute Zettel herum: "How to revolt smart". Überall sind hier Buchstaben, an den Wänden, auf dem Boden, und natürlich in der Luft. Überall durchziehen unterschiedliche Tondokumente die Luft, die drei Schauspielerinnen deklamieren unermüdlich, allerorten Lautsprecher und Telefone, aus denen "es" spricht.

Bosse ist es hier noch besser als in Vampires of the 21st century gelungen, ihre Location zu bespielen. In jedem Winkel tut sich etwas, ist eine Stimme zu entdecken, die ihre Geschichte erzählt, oder zumindest eine Botschaft an der Wand. Es ist ein Assoziationsraum im wahrsten Sinne: Im Vorübergehen tun sich dem Besucher überall Gedanken und Erinnerungen auf; und auf der weitläufigen Fläche ist er nicht selten alleine mit ihnen.

Genau hier geht Bosse den entscheidenden Schritt über selbstgenügsames Diskurstheater hinaus: Sie präsentiert Ideologien und Überzeugungen zuhauf. Doch sie meißelt sie nicht in Stein, sie lässt sie durch die Luft fliegen. Am Einzelnen liegt es, wem er zuhört, wo er zuschaut. Freilich überfordert das. Doch dieses Stück fordert, weil Menschen solche Verantwortung zumutbar ist. Hier müssen wir uns unsere Fragen selber stellen. Und das sind am Ende die wirklich wichtigen.  (Andrea Heinz  / DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2011)