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Unter Pfiffen und Buhrufen gratulierte Premier Wladimir Putin einem russischen Kampfsportler zum Sieg.

Foto: RIA Novosti, Alexei Druzhinin, Pool/AP/dapd

Moskau/Wien - Wladimir Putin wird "erstmals in seiner politischen Karriere" laut dem Radiosender Echo Moskwy, öffentlich ausgebuht und ausgepfiffen (bei einer Sportveranstaltung am vergangenen Sonntag); ein 15-jähriger Gymnasiast bringt es zu landesweiter Berühmtheit, nachdem er auf ein Plakat der Kremlpartei Einiges Russland "Partei der Gauner und Diebe" geschrieben hat (die russische Verfassung verbietet Wahlwerbung an Schulen ); die Autofahrerbewegung "Blauer Eimer" protestiert mit Spielzeugkübeln auf Autodächern gegen den Missbrauch des Blaulichts durch Staatsfunktionäre: Vor den Wahlen zur Staatsduma, dem Unterhaus des Parlaments, am 4. Dezember häufen sich in Russland Anzeichen zivilgesellschaftlichen Widerstandes.

Zugleich registrieren Umfragen eine Tendenz, ungültig zu wählen und damit den Frust über mangelnde Alternativen zur Regierungspartei und der großteils kremltreuen Opposition (Kommunisten, Nationalisten) auszudrücken. Oder überhaupt nicht abzustimmen: "Die Menschen sind müde geworden", sagte der Rundfunkjournalist Nikolai Jolkin vom Staatssender Stimme Russlands am Mittwoch in einer Diskussion in Wien unter Berufung auf Korrespondentenberichte aus der russischen Provinz.

Die Politikmüdigkeit beziehe sich offensichtlich auch auf die vom Kreml immer wieder beschworene Stabilität (Stichwort starker Präsident). Die Verwaltung versuche nun, eine niedrige Wahlbeteiligung durch verschiedene Mittel zu verhindern.

Hier gibt es - durch frühere Vorkommnisse durchaus begründete - Warnungen vor Manipulation. Expräsident Michail Gorbatschow etwa machte Putin jüngst schwere Vorwürfe: Die regionalen Behörden seien angewiesen worden, eine bestimmte Wahlbeteiligung sicherzustellen, damit Einiges Russland eine Mehrheit bekomme. Auch Geschäftsleute würden unter Druck gesetzt.

Manipulationsmöglichkeiten bietet auch die Briefwahl. Die Wahlkommission hat diesmal 2,6 Millionen Wahlzettel an Bürger ausgegeben, die angeblich am Wahltag nicht an ihrem Wohnort abstimmen können - 500.000 mehr als vor vier Jahren.

Die größten Probleme für den wahrscheinlichen nächsten Präsidenten Putin (Wahl im Frühjahr 2012) sind laut Jolkin die alternde Gesellschaft und Russlands Rohstoffabhängigkeit: "Einige hoffen, dass Putin dadurch gezwungen sein wird, den Demokratisierungsprozess zu verstärken." (Josef Kirchengast, DER STANDARD-Printausgabe, 24.11.2011)