Die Regierung wirbt für geschlechterneutrale Familienplanung auf einer Raststätten-Toilette: "Ob Junge oder Mädchen ist egal, jedes Kind ist ein Nachfolger!"

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Mittlerweile ist es - vor allem in den Städten - keine so große Frage mehr, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Auf dem Land dagegen werden deutlich Jungen bevorzugt.

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Die wohlbekannte Ein-Kind-Politik in China hat eine Gesellschaft geformt, in der das Kind das einzige, größte, wichtigste Lebensziel ist. Es ist für die meisten Chinesen überhaupt keine Frage, ob sie ein Kind wollen, sondern hauptsächlich wann. Und das will gut überlegt sein. Um ein Kind zur richtigen Zeit zu bekommen, werden keine Kosten und Mühen gescheut. Die Werbeflächen der Stadt quellen über vor Werbung für Abtreibungskliniken, Hormonbehandlungen, Schwangerenbetreuung und sonstigen sündhaft teuren Maßnahmen, um schwanger zu werden oder eben nicht.

Abtreibungen

Während in Europa aus verschiedenen Gründen Abtreibung noch immer negativ konnotiert ist, gibt es diese Hemmschwelle in China und auch in vielen anderen asiatischen Ländern nicht. "Ich bin froh, dass ich nicht schwanger bin. Sonst hätte ich wieder abtreiben müssen, denn ich will erst in einem halben Jahr schwanger werden", erzählt mir eine Chinesin nach einem negativen Schwangerschaftstest. Der Zeitpunkt der Geburt wird nämlich keineswegs dem Zufall überlassen.

Die verfügbaren Verhütungsmethoden in China sind theoretisch die gleichen wie in Europa. Doch noch immer verhütet ein Großteil der Paare nicht oder unzureichend. Wenn eine Frau ungewollt schwanger wird, werden Abtreibungen als normales Instrument der Familienplanung wahrgenommen. Die Antibaby-Pille ist zwar erhältlich und billiger als in Europa, doch viele Chinesinnen scheuen sich dennoch davor, sie einzusetzen. Erstens vertrauen sie der westlichen Medizin generell wenig, zweitens wird die Einnahme von "harter" Medizin nicht gerne gesehen. Selbst wenn Chinesen wirklich krank sind, versuchen sie häufig zuerst, die Krankheit mit Traditioneller Chinesischer Medizin zu behandeln und sehen es als problematisch an, den Körper potentiell schädliche Medizin einzunehmen. Die Pille verstößt ganz klar gegen diese "so wenig harte Medizin wie möglich"-Maxime. Kondome sind die am meisten verbreitete Verhütungsmethode. In Kunming hängt praktisch an jeder Straßenecke ein Kondom Automat. Doch Kondome sind generell weniger sicher als die Pille und zudem ist das Risiko der Fehlanwendung ziemlich groß.

Kein Kind geht nicht

Wenn eine Frau jedoch nicht schwanger werden kann, wenn sie will, dann hängt der Haussegen gewaltig schief. Das soziale Umfeld sowie die potentiellen Großeltern üben nicht selten großen Druck aus, und dem "schuldigen" Ehepartner bleibt nichts anderes übrig als mühsame, langwierige und oft auch gefährliche Behandlungen mit allen erdenklichen Methoden über sich ergehen zu lassen. Eine Familie ohne Kind ist eine gescheiterte Existenz. Die Ehepartner legen nicht umsonst häufig ihr ganzes Leben auf das erwartete Kind aus, von Wohnungssuche, Arbeit, Freundeskreis, bis hin zu Kleidung und Auto. In aller Regel wird auch der Partner danach ausgesucht, ob er oder sie ein Kind finanziell realisieren kann. Dann wird zuerst einmal geheiratet - spätestens wenn die Frau schwanger ist. Ein unverheiratetes Paar mit Kind ist noch immer ein gesellschaftlicher Fauxpas.

Junge oder Mädchen?

Mittlerweile ist es - vor allem in den Städten - keine so große Frage mehr, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Auf dem Land dagegen werden deutlich Jungen bevorzugt. Das Ungleichgewicht zwischen weiblicher und männlicher Bevölkerung sieht die Regierung durchaus als großes Problem an. Es gibt gerade auf dem Land viele "Ob Junge oder Mädchen ist egal, jedes Kind ist ein Nachfolger"-Kampagnen. Aus diesem Grund darf bei Schwangerenuntersuchungen auch nicht bekanntgegeben werden, ob der Fetus ein Junge oder ein Mädchen ist. Das führt aber nicht immer zum erhofften Ergebnis. Auf dem Land, wo die staatliche Überwachung der Ein-Kind-Politik nicht so gut möglich ist, haben viele Familien einfach deutlich mehr Kinder als erlaubt. Eine Familie auf der Insel Hainan mit drei Töchtern und einem Sohn erklärt mir ihre Familienplanung so: "Wir wollten einen Sohn, aber es wurden immer nur Töchter. So haben wir so lange weitergemacht, bis es ein Junge wurde." (An Yan, 23. November 2011, daStandard.at)