Kinder versus alte Menschen, Einheimische versus Zugewanderte: Der ganz normale Alltag im sozialen Wohnbau hinterlässt ein ungutes Gefühl bei den Bewohnern.

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Mit der aktiven Mithilfe der Bewohner soll die Furcht verringert werden.

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Von der Wiese sind bloß ein paar magere Halme übrig. Der Spielplatz besteht hauptsächlich aus plattgetretener Erde, Staub und Kieselsteinen. Gleich daneben rollt ein Kleinkind auf einem Kinderauto zwischen parkenden Autos. In dem verwackelten Bild taucht ein Gesicht auf: "Hallo, mein Name ist Pierre, und ich möchte Ihnen jetzt zeigen, was in unserem Hof verbessert werden könnte", sagt der Bub und schwenkt die Kamera auf eine triste Sandkiste, neben der ein einsames Wipppferd steht. "Es wäre schön, wenn es mehr Spielsachen für uns geben könnte."

Ein Mädchen hat einen anderen Vorschlag: "Da sind auch manche Ältere, die, sagen wir so, die was gegen Menschen mit Migrationshintergrund haben, und ich finde, da soll irgendwer eingreifen." In dem Videoclip, der von Jugendlichen aus der Siedlung im Grazer Stadtteil Lend gedreht wurde, kommen sämtliche Konfliktpunkte zur Sprache: zu wenig Freiraum für Kinder, Unverständnis zwischen der älteren, eingesessenen Generation und zugezogenen Bewohnern, nicht richtig entsorgter Müll, Graffiti, Lärm.

Die Probleme einer "stinknormalen Siedlung", wie Ursula Hauszer-Ortner sagt. Die Sozialpädagogin vom Friedensbüro Graz ist Leiterin des Projekts "Handlungsorientierte Sicherheitsforschung im Wohn- und Lebensraum", kurz "Hasif", im Zuge dessen auch das Video entstand. "Ein wichtiger Teil der Aktions- oder Handlungsforschung ist es, jene Probleme und Fragen zu behandeln, die von den Betroffenen selbst aufgeworfen werden", sagt Hauszer-Ortner.

Mit diesem Ansatz gehört "Hasif" zu den unkonventionelleren Projekten, die im Sicherheitsforschungsprogramm Kiras des Infrastrukturministeriums (siehe Wissen unten) gefördert werden. Die Hypothese lautet: Menschen fühlen sich in ihrer Wohnumgebung vor allem dann sicherer, wenn sie aktiv an der Gestaltung ihres Stadtteils mitwirken können - ganz ohne massives Polizeiaufgebot und Überwachungskameras.

Vergleichen und verbessern

Um das zu wissenschaftlich zu überprüfen, wurden zwei Siedlungen in den Grazer Bezirken Lend und Jakomini ausgewählt, die als unattraktive Gegenden gelten, wo überdurchschnittlich viele sozial Bedürftige und Migranten leben. In einer davon sollten gemeinsam erarbeitete Verbesserungsmaßnahmen gesetzt werden. Zum Vergleich wurde außerdem eine dritte Siedlung im Bezirk Eggenberg hinzugezogen, deren Bewohner als gut situierte Mittelschicht bezeichnet werden können.

In der ersten Phase des Projekts, das im Mai 2010 startete, sammelte das Friedensbüro Graz in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmarktbetreuung und -forschung Steiermark (Ifa) grundlegende Daten über Strukturen, Lebensqualität und Kriminalität in den jeweiligen Siedlungen, lokale Experten wie Hausverwalter und Bezirkspolitiker wurden interviewt. Parallel dazu begannen die Projektmitarbeiter, "an die Bewohner anzudocken", wie Ursula Hauszer-Ortner schildert.

"Bei Straßenbefragungen wurde schnell klar, dass es beim Sicherheitsempfinden nicht so sehr um Kriminalität, sondern ganz stark um Fragen des Zusammenlebens geht", sagt Hauszer-Ortner. Die Interviewergebnisse flossen in eine schriftliche Fragebogenerhebung ein, die an sämtliche Haushalte der Siedlungen ging. 21 Prozent bzw. 130 ausgefüllte Fragebögen kamen zurück.

Fazit: Furcht und große Verunsicherung hängen deutlich mit verwahrlosten öffentlichen Räumen, einer heterogenen Bevölkerung, aber auch dem Ruf einer Gegend zusammen. Bewohner der sozial schwächeren Siedlungen fühlten sich vor allem durch "viele ausländische Mitbürger" bedroht, während in der Vergleichssiedlung "Umweltbelastungen" an erster Stelle stand.

Es zeigte sich außerdem, dass sich Menschen, die kaum mit ihrem Einkommen zurechtkommen und generell mit ihrer Lebensqualität unzufrieden sind, besonders unsicher fühlen. "Die Leute, die es ohnehin strudelt, bringen ihren Mitmenschen weniger Vertrauen entgegen", fasst Hauzser-Ortner eines der wichtigsten Ergebnisse zusammen: "Soziale Problemlagen wirken sich enorm auf das Sicherheitsempfinden aus."

Mit der Studie war es aber nicht getan: In einer zweiten Phase wurden Siedlungsfeste zum Thema Sicherheit veranstaltet. Im dritten Projektteil wurde näher auf die Bedürfnisse und Verbesserungsideen der Bewohner der Siedlung in Lend eingegangen - 480 Menschen aus 15 Ländern, darunter 33 Prozent unter 15-Jährige, knapp die Hälfte der Bewohner außerhalb Österreichs geboren.

Derzeit befindet sich das Projekt in der vierten Phase, in der gemeinsam mit anderen Organisationen wie der Akademie für Generationen (Gefas) die Ideen umgesetzt werden sollen. So wurde unter anderem gemeinsam über die Gestaltung des Spielplatzes diskutiert, eine Siedlungsfußballmannschaft gegründet, Regeln für Konfliktherde wie Teppichwaschen und Müllentsorgung aufgestellt, Plauderstunden und eine Mieterbeirat organisiert.

Subjektive Wahrnehmung

In einer fünften Etappe wird anhand neuerlicher Befragungen untersucht, wie sich die Aktivitäten auf das Sicherheitsempfinden auswirken. "Wo es Kommunikation und Selbstbestimmung gibt, ändert sich auch die subjektive Wahrnehmung des Umfeldes", kann Hauszer-Ortner schon jetzt sagen. Zum Projektende im kommenden April soll ein Handbuch Empfehlungen für ähnliche Wohnsiedlungen abgeben.

Sozialer Zusammenhalt und das subjektive Gefühl, sicher zu sein, sind grundlegend für eine stabile und friedliche Gesellschaft: Dieses Verständnis teilt auch ein weiteres Kiras-Projekt. "Idemö" untersucht, wie junge Österreicher sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund Zugehörigkeits- und Loyalitätsgefühle zu ihrer Heimat entwickeln. "Es gibt dabei sehr vielfältige Prozesse und Faktoren, die wir herausfiltern wollen", sagt Edith Enzenhofer, Projektleiterin am Forschungsinstitut des Roten Kreuzes.

Als Basis dienen Interviews mit 45 Personen zwischen 18 und 30 Jahren, die in fünf ausgewählten Bereichen durchgeführt werden: Im Bundesheer und in Behörden als wichtige staatliche Institutionen, im Kindergarten als Integrationsort sowie im Grätzelumfeld und auf dem Donauinselfest - als Orte, die eine Identifikation mit der Stadt ermöglichen. Bis Juni 2012 wird analysiert, was es heißt, sich mit Österreich zu identifizieren, inwiefern sich Zugewanderte als Österreicher fühlen und Österreicher Zugewanderte als Teil des Landes sehen - und was das für Konfliktprävention und somit für die Sicherheit bedeutet. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2011)

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Wissen: Terror, Krisen und Katastrophen

Seit 9/11 boomt das Feld der Sicherheitsforschung, auch in Österreich. "Die Erhöhung der Sicherheit Österreichs und seiner Bevölkerung" ist das Ziel des Forschungsförderungsprogramms "Kiras" . Die geförderten Projekte befassen sich mit technologischen Lösungen gegen Terror, Kriminalität und Katastrophen genauso wie mit gesellschaftlichen Aspekten von Sicherheit. Mit Rüstungsforschung will das federführende Verkehrs- und Technologieministerium dezidiert nichts zu tun haben.

Die aktuelle Ausschreibung, die noch bis zum 5. März 2012 läuft, sucht schwerpunktmäßig nach Projekten unter anderem zu den Themen "Cyber-Security" , "Dekontamination im Fall nuklearer Katastrophen" , "Risiko- und Krisenmanagement" . Außerdem sind Lösungen auf den Gebieten Menschenhandel, Integration sowie Polizei und Kommunikation gefragt. (kri)