Tierschützer machen auf ihr Anliegen aufmerksam und geraten ins Visier der Justiz: Gerald Igor Hauzenbergers mit dem Wiener Filmpreis prämierte Dokumentation "Der Prozess" begibt sich auf ihre Spuren.

Foto: Thimfilm

Wien - Auf den in nächtlicher Dunkelheit aufgenommenen Videobildern sind nur Umrisse zu erkennen. Man hört Grillenzirpen und Schritte. Plötzlich erhellt ein Licht die Szenerie, die Kamera hat gefunden, was sie suchte: Auf einem Schweinekadaver tummeln sich Maden; gleich darauf sieht man auf engstem Raum zusammengepferchte verletzte Tiere.

Wenn in der nächsten Einstellung eine Gruppe von Tierschützern in weißen Overalls vor dem Parlament einer entsetzten Öffentlichkeit tote Schweine präsentiert, ist das also nur eine erweiterte Form der Sichtbarmachung: Auf das investigative Aufspüren folgt die breitenwirksame Ausstellung. Im weiteren Verlauf des Films wird man erfahren, dass ausgerechnet die öffentlichen Aktionen von dreizehn NGO-Aktivisten die Staatsanwaltschaft vermuten ließ, dass ihr sichtbarer Protest eine unsichtbare Kriminalität verberge. Es folgten eine Anklage nach Paragraf 278a aufgrund des Verdachts der Bildung einer kriminellen Organisation ("Mafia-Paragraf"), mehrmonatige Untersuchungshaft und ein knapp eineinhalb Jahre dauernder Prozess.

In seiner Dokumentation Der Prozess begleitet Gerald Igor Hauzenberger dieses Verfahren aus der Sicht der Angeklagten und versucht sich erst gar nicht in objektiver Berichterstattung. Was zunächst nach einem Porträt über unschuldige Aktivisten aussieht, entwickelt sich zu einer brisanten Studie über das Verhältnis von Staatsmacht und Zivilgesellschaft. Denn der ominöse Paragraf erlaubt, wie der "Tierschützer-Prozess" am Wiener Neustädter Landesgericht zeigt, geheimpolizeiliche Maßnahmen samt verdeckter Ermittlung, die zu einem immensen Verlust an Rechtsstaatlichkeit führen können.

Montage der Standpunkte

Um die hinter dem Verfahren laufenden Mechanismen aufzuzeigen, liefert Hauzenberger keine Chronik der Ereignisse, sondern setzt mittels kluger Montage Aussagen und Positionen der betroffenen Akteure zueinander in Verbindung: Eine Strafrechtsexpertin erläutert das "Feindstrafrecht", die Justizsprecher der Parlamentsparteien erklären ihrer Politik entsprechend das "Organisationsdelikt", und der Erstangeklagte Martin Balluch erzählt vom Zusammentreffen mit dem "verängstigenden" Staatsanwalt.

Im Grunde funktioniert Der Prozess wie ein Kanon, der viele - wenngleich nicht oppositionelle - Stimmen zusammenführt und darüber seinen Dirigenten nicht vergisst. Mit neongelber Presse-Weste begleitet Hauzenberger die Tierschützer zur Wildschweinjagd, wo ihm die Beschlagnahmung der Kamera angedroht wird, und besucht den traditionellen Jägerball, wo er ein von ÖVP und FPK vorgetragenes Jagdlied zu hören bekommt. Dass der Regisseur einmal hilft, ein Polizeiauto anzuschieben, wird ihm nicht gedankt: Vergeblich versucht er am Telefon, der Pressesprecherin des Innenministeriums eine Stellungnahme zum Verfahren abzuringen.

Am meisten fürchte er sich vor dem drohenden Ausschluss der Öffentlichkeit, meint einer der Angeklagten im Interview, denn dann stünde das Schuldurteil so gut wie fest. Und tatsächlich schließt sich am Ende der Kreis zu den verwackelten Nachtaufnahmen vom Beginn, wenn Hauzenberger die fehlenden Bilder aus dem Gerichtssaal, in dem nicht gefilmt werden durfte, durch Zeichnungen ersetzt und Auszüge aus dem Protokoll mit verteilten Rollen vorlesen lässt.

Dass Hauzenberger den hier wie dort fehlenden Bildern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines kontrollierenden Blicks entgegensetzt, ist der Verdienst seines Films. Er ist somit das Gegenbild zu der "kontradiktorischen Einvernahme" jener verdeckten Ermittlerin, die in die Gruppe der Aktivisten eingeschleust wurde und kostümiert im Hinterzimmer des Gerichtssaals ihre Aussage macht. (Michael Pekler, DER STANDARD - Printausgabe, 23. November 2011)