Wer kann "Herzkranzgefäß" in fünf Sprachen sagen? Die wenigsten.  Profi-DolmetscherInnen sind im Krankenhaus jedoch Mangelware. Oft müssen mehrsprachige Reinigungs- oder Pflegekräfte aushelfen

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Der Termin für die Gallenblasen-OP ist seit Monaten fixiert - doch die Patientin taucht nicht auf. Auf den nächsten Termin muss sie wieder monatelang warten, die Schmerzen werden nicht geringer. Ein anderer Patient hat miserable Blutwerte, weil er die Tabletten nicht wie vorgeschrieben eingenommen hat. Selber schuld? Nein: In diesen Fällen waren es Übersetzungsfehler, die zur falschen oder verspäteten Behandlung führten. 

Missverständnisse

Immer wieder haben Spitäler oder Arztpraxen mit PatientInnen zu tun, die kaum oder gar nicht Deutsch und auch kein Englisch sprechen. Meist sind es MigrantInnen, aber auch bei UrlauberInnen oder Geschäftsreisenden stellt sich das Problem, dass es in Österreich keine flächendeckenden Dolmetschdienste für Arztgespräche gibt.

In vielen Fällen merken die Beteiligten erst zu spät, dass etwas falsch oder verzerrt übersetzt worden ist. "Meistens erfahren wir gar nicht davon", sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger, "die Beschwerdeschwelle ist sehr hoch. Aber dass sich wenige bei uns melden, heißt nicht, dass es kein Problem gibt." Verständigungsprobleme in Spitälern können fatale Folgen haben: So wurde vor sechs Jahren in Graz an der falschen Frau ein Kaiserschnitt vorgenommen. Die Patientin hatte zwar protestiert - aber niemand konnte sie verstehen. 

Spital entscheidet

Derzeit bieten nur einzelne Krankenhäuser Dolmetschdienste an. "Wenn ein ärztlicher Direktor Wert darauf legt, dann passiert etwas", sagt Bachinger - sonst nicht. Nicht selten sind es zweisprachige Pflege- oder Reinigungskräfte, die beim Arztgespräch als Übersetzungshilfen beigezogen werden. 

Viel Scham

Oft müssen die eigenen Kinder oder Enkelkinder "dolmetschen" - eine Aufgabe, mit der sie höchst überfordert sind, wie die Sprachwissenschafterin Vera Ahamer im Rahmen ihrer Dissertation herausgefunden hat: Sie erwähnt "ein 13-jähriges Mädchen, das mit ihrer Mutter zur Gynäkologin musste, um dem Arzt intime Probleme der Mutter zu schildern. Das ist natürlich mit sehr viel Scham verbunden", sagt Ahamer. Häufig führe das dazu, „dass bestimmte unangenehme Informationen zurückgehalten werden". Die Folge: Dem Arzt oder der Ärztin fehlen wichtige Details, die er/sie für die sichere Diagnose dringend benötigt.

Aber auch in weniger schambesetzten Gesprächen passieren Fehler: Verwandte, die sich im Alltag problemlos verständigen können, sind im Spital überfordert, wenn sie "Herzkranzgefäße" oder "Rippenknorpel" übersetzen müssen. "Schon für Menschen mit Deutsch als Muttersprache ist es oft schwierig, sich mit einem Arzt zu verständigen", sagt Ahamer. Man habe es schließlich mit einer Autorität zu tun - und da überlegt man sich, ob man drei Mal nachfragt, weil man die Diagnose beim zweiten Mal noch immer nicht verstanden hat. Umso komplexer sei es, wenn man nicht in der Erstsprache kommunizieren muss - "oder wenn man als Kind mit einem Erwachsenen spricht", so Ahamer.

Gesundheitsminister: "Nicht zuständig"

Nationale Mindeststandards sind in Österreich aber weiterhin nicht in Sicht. Der Gesundheitsminister erklärt sich für nicht zuständig: „Das ist Sache des Spitalserhalters, und es gibt da schon sehr viele Projekte", sagt Fabian Fußeis, Sprecher von Alois Stöger, auf derStandard.at-Anfrage. Dolmetschdienste flächendeckend vorzusehen, „entspricht nicht der österreichischen Kompetenzlage", so Fußeis.

Wie gut die Verständigung zwischen nicht-deutschsprachigen PatientInnen und dem Spitalspersonal abläuft, hängt also weiterhin davon ab, in welches Krankenhaus man sich begibt oder eingeliefert wird. „In manchen Spitälern heißt es: ‚Das geht uns nix an‘", sagt Patientenanwalt Bachinger. Über grobe Missverständnisse oder Konflikte stöhnen nicht nur die betroffenen PatientInnen: Auch Pflegepersonal und ÄrztInnen seien zusehends überfordert. 

"Bringschuld"

Patientenanwalt Bachinger wünscht sich für Österreich ein System wie in der Schweiz: Dort gebe es neben Spitals-DolmetscherInnen auch einen Telefondienst, der in 13 Sprachen übersetzt. Auch eine Video-Lösung, beispielsweise via Skype, sei vorstellbar, so Bachinger. Den PatientInnen selbst sei es jedenfalls nicht zuzumuten, selbst DolmetscherInnen zu finanzieren, so Bachinger: „Das ist eine Bringschuld der Gesundheitsversorgung." (Maria Sterkl, derStandard.at, 23.11.2011)