Wien - Ob er im Musikverein wohl schon irgendwo einen Spind hat, um persönliche Dinge unterzubringen? Es würde sich lohnen. Vier verschiedene Orchester dirigiert Andris Nelsons in dieser Saison im Haus am Karlsplatz: Ende Oktober waren es die Wiener Symphoniker, im März kommt der Lette mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, dessen Chefdirigent er seit 2008 ist, und dann macht der Mann mit dem ausufernden Dirigierstil auch noch mit den zwei Orchestern seines Mentors Mariss Jansons Station in Wien, mit dem BR-Symphonieorchester (Ende April) und dem Concertgebouworchester.

Letzteres am Sonntagabend, und wie erwartet ruderte, flatterte, rührte Nelsons, der ewige Enthusiast, bei Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia in der Art eines hyperaktiven Flamingos über den Köpfen der Niederländer herum (welche da gar nicht hinschauen wollten). Trotzdem - oder gerade deswegen? - machte das wundervolle Werk wenig Eindruck. Der episodisch-zarte Anfangsteil zerfiel, geriet unter der Anleitung des Zuviel-Machers Nelsons zu direkt, zu laut, wie auch der Schluss kaum Atmosphäre aufkommen ließ.

In der mal schwülstigen, mal hohlen Tingeltangel-Welt von Camille Saints-Saens' fünftem, dem "ägyptischen" Klavierkonzert schien sich der 33-Jährige schon wohler zu fühlen. Jean-Yves Thibaudet unterhielt mit sportlich-keckem Spiel und trotzte dem mit Pseudo-Orientalismen angereicherten Opus Valeurs ab, die wohl selbst den Komponisten überrascht hätten. Von tagheller Kompaktheit das zugegebene Es-Dur-Nocturne Frédéric Chopins.

Wer vermutet hatte, dass Nelsons in der effektprallen Welt von Strawinskys Petruschka endlich außergewöhnlich Hörenswertes bieten würde, lag richtig. Und auch die solistischen Leistungen der Orchestermusiker waren von königlicher Qualität. Bei der zweiten Zugabe (Bizet) erreichte die Begeisterung des Publikums euphorische Gipfel. (Stefan Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 22. November 2011)