Das Schicksal des am Wochenende gefassten Gaddafi-Sohns Saif al-Islam stellt das neue Libyen auf die Probe. Einen Monat nach dem Tod Muammar al-Gaddafis in den Händen der ehemaligen Aufständischen sicherte die Führung in Tripolis Saif al-Islam einen fairen Prozess zu. Im Westen wurden Forderungen laut, ihn dem Internationale Strafgerichtshof (IStGH/ICC) zu übergeben. Doch die libysche Führung will Saif al-Islam in seiner Heimat vor Gericht stellen. Das sei eine Forderung des Volkes. "Wir versichern den Libyern und der Welt... einen fairen Rechtsweg, auf den unser Volk die letzten 40 Jahre verzichten musste", sagte Libyens designierter Ministerpräsident Abdul Raheem al-Keeb am Samstag auf einer Pressekonferenz in der Bergstadt Zintan. Dorthin war Saif al-Islam gebracht worden, nachdem Milizionäre aus der Stadt ihn in der Nacht auf Samstag in der Sahara aufgegriffen hatten.
Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Catherine Ashton, begrüßte die Festnahme und forderte die libyschen Behörden zur Zusammenarbeit mit dem IStGH auf. Ähnlich äußerte sich auch der britische Premierminister David Cameron. Schwedens Außenminister Carl Bildt ging noch einen Schritt weiter und rief die libysche Regierung auf, Saif al-Islam an den Haager Gerichtshof zu überstellen. Ähnliche Forderungen stellten auch die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch.
Wer muss, wer darf?
Der ICC-Chefankläger Luis Moreno Ocampo beantragte am 16. Mai Haftbefehle gegen den damals noch amtierenden Präsidenten Muammar al Gaddafi, dessen Sohn Saif al Islam und den Geheimdienstchef Abdullah al Senussi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Senussi war ebenfalls am vergangenen Wochenende verhaftet worden. Im Juni wurden die Haftbefehle erlassen. Nur der UN-Sicherheitsrat kann das Tribunal beauftragen, sich mit Fällen von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Land zu befassen, welches - wie Libyen - das Römische Statut zur Gründung des Tribunals nicht ratifiziert hat. Jeder Staat, der Mitglied des Internationalen Gerichtshofes ist, verpflichtet sich zur Auslieferung der vom ICC gesuchten Personen. Der Strafgerichtshof wird aber erst dann zuständig, wenn der eigentlich zuständige Staat "nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen". Was unter dem Regime Gaddafis definitv der Fall war. Die neue libysche Führung hingegen verspricht ein faires und unabhängiges Verfahren. Ein funktionierender Justizapparat existiert allerdings in Libyen noch nicht. Ob Libyen zwar "willens" aber nicht "fähig" ist, muss nun geprüft werden.
Luis Moreno-Ocampo wird in Kürze nach Libyen reisen. Dann werde er die nächsten Schritte klären. Wichtig sei vor allem, dass der Gaddafi-Sohn vor Gericht gestellt werde. "Wo und wie, darüber werden wir reden." Die NATO zeigte sich zuversichtlich, dass Libyen gemeinsam mit dem IStGH für ein gerechtes Verfahren sorgen kann. (red)