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"Hassan Ahmed, unabhängig" – Ein Mann in Kairo gestaltet mit Pinsel und Farbe ein dutzende Meter langes Wahlplakat.

Foto: AP/Nabil

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Hafez Abu Saada von der Organisation für Menschenrechte ist einer von fast 7000 Kandidaten für knapp 500 Parlamentssitze.

Foto: Reuters/Dalsh

Die Islamisten gehen als Favoriten ins Rennen, aber sie machen einander auch gegenseitig Konkurrenz.

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Mehr als 6700 Kandidaten aus 47 Parteien, die sich etwa 50 Millionen Wählern stellen, die 498 Parlamentssitze vergeben: Das sind die Basisdaten für die ägyptischen Parlamentswahlen, deren erste Runde am 28. November stattfindet, mit zwei weiteren Terminen am 14. Dezember und am 3. Jänner 2012. Dann wird das erste Parlament der Post-Mubarak-Ära stehen.

Das ägyptische Wahlsystem ist, gelinde gesagt, ziemlich kompliziert. Elliott Abrams vom US-Council of Foreign Relations etwa sagt von ihm etwas uncharmant, dass es "einen Haufen promovierter Statistiker verwirren würde und erst recht eine Wählerschaft mit 30 Prozent Analphabeten" . Die einfachste Darstellung, ohne auf die Feinheiten einzugehen: Zwei Drittel der Sitze werden via Parteilisten vergeben, ein Drittel via Personenlisten. Die Hälfte der Mandatare im Parlament müssen "Bauern oder Arbeiter" sein.

Die meisten revolutionären Kräfte waren gegen Personenlisten, denn diese werden als Schlupflöcher für die Rückkehr der Kräfte der aufgelösten alten Regimepartei NDP (Nationaldemokratische Partei) in die politische Arena gesehen. Viele NDP-Veteranen haben Parteien gegründet. Ein Verbot für NDP-Mitglieder, zu den Wahlen anzutreten, wurde ausgesprochen und inzwischen wieder aufgehoben.

Eine Kristallkugel, in der man den Ausgang der Wahlen sehen kann, gibt es nicht, denn das politische Make-up der ägyptischen Bevölkerung - was sie wählen, wenn sie zum ersten Mal wirklich dürfen - ist schlicht unbekannt. Ohne Zweifel hat die 1928 gegründete Organisation der Muslimbrüder den am besten funktionierenden Apparat, eine durch jahrzehntelange Sozialarbeit gewonnene Legitimität und dadurch die größten Wiedererkennungswerte in der Bevölkerung. Aber auch sie muss sich ihren Markt mit etlichen anderen islamistischen Parteien - weit rechts und weit links von ihr - teilen.

Zersplitterte Liberale

Gänzlich zersplittert ist der liberale und linke Sektor. Diverse Schätzungen geben den Muslimbrüdern bis zu dreißig Prozent des Elektorates und den Kräften, die explizit einen säkularen Staat wollen - dazu gehören natürlich die Kopten -, bis zu 20 Prozent. Das heißt, es fehlen 50 Prozent, von denen man nicht einmal weiß, ob sie wählen gehen werden.

Fast alle Parteien - von denen die meisten nach dem Umsturz gegründet wurde - haben sich einem von großen vier Blöcken angeschlossen beziehungsweise Allianzen gebildet, die die Sache für den Wähler etwas übersichtlicher machen - auch wenn es nicht immer klar scheint, warum eine Partei beim einen und nicht beim andern Block ist. Die Zusammenschlüsse verändern sich ständig. So wurde zum Beispiel die Demokratische Allianz, die von der Partei der Muslimbrüder angeführt wird, im Juni von 34 Parteien gegründet, heute sind sie nur noch eine gute Handvoll.

Die vier Blöcke sind:

Der linksliberale Ägyptische Block, bestehend im Wesentlichen aus der Partei Freie Ägypter, der Sozialdemokratischen Partei und der schon seit 1977 existierenden Tagammu (Unionisten). Auch Mohamed ElBaradeis Bewegung (keine Partei) National Association for Change gehört dazu.

Ebenfalls aus linken und revolutionären Gruppen besteht der Block Die Revolution dauert an, er ist eine Gründung der Sozialistischen Volksallianz, die sich vom Ägyptischen Block abgespalten hat. In ihm finden sich auch islamische linke Parteien.

Neue Fundamentalisten

Eine gänzlich unbekannte Kraft, was die Politik betrifft, ist in der Islamischen Allianz versammelt: Es sind dies die vier salafistischen Parteien: Nur (Licht), Asala (Authentizität), der Salafistische Trend und die Aufbau- und Entwicklungspartei, der politische Arm der Al-Jamaa al-Islamiya. Die strengen fundamentalistischen Salafis, denen zuerst die Revolte gegen den Herrscher zu "unislamisch" war, mischen jetzt groß mit und decken die einzelnen Regionen Ägypten geografisch gut ab. Ihr Parteiprogramm ist aggressiv islamisch, sie setzen sich etwa auch für Einschränkungen für Touristen (Alkohol, Badekleidung) ein. Wenn sie zu stark werden, bedeutet das wohl das Ender der blauen Stunde am Nil.

"Der Islam ist die Lösung"

Und zuletzt - angesichts der Salafis gleich weniger furchterregend - ist da der vierte Block, die Demokratische Allianz, angeführt von der Freiheit und Gerechtigkeits-Partei (FJP) der Muslimbrüderschaft. Mit in diesem Block sind die nasseristische Karama-Partei - nicht ohne Ironie angesichts der blutigen Fehde zwischen Nasseristen und Muslimbrüdern in der Geschichte des 20. Jahrhunderts - und die liberale Ghad. Wie schon gesagt, fast alle anderen Listen-Mitglieder hat die Demokratische Allianz verloren.

Die FJP ficht mit den Salafis um die Herzen, Hirne und Stimmen der frommen Muslime, wobei die beiden Blöcker einander islamisch hochlizitiert haben. So ist die FJP teilweise mit dem Slogan "Der Islam ist die Lösung" unterwegs.

Es gibt auch Parteien, die außerhalb der Blöcke geblieben sind, darunter die älteste Partei Ägyptens, die Wafd-Partei, und die Wasat, die sich 1999 von den Muslimbrüdern abspaltete. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 21.11.2011)