Dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann steht beim nächsten EU-Gipfel am 9. Dezember in Brüssel eine Premiere der besonderen Art bevor: Der SPÖ-Chef wird dort als wichtigster Vertreter seiner europäischen Parteienfamilie und als Mann mit der meisten EU-Erfahrung bei den Staats- und Regierungschefs die Fahne der Sozialdemokratie hochhalten müssen.
Denn nach den Wahlen in Spanien am Wochenende kommt der Linken mit José Luiz Zapatero der letzte Premierminister abhanden, der schon vor 2009 im Europäischen Rat saß; der vor vier Jahren beispielsweise noch den jüngsten EU-Vertrag von Lissabon mitverhandelt hat oder die Maßnahmen zur Rettung der Finanzwirtschaft in der Union nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008. Faymann stieß im Frühjahr 2009 zum Klub der Mächtigen in Europa.
Zapateros Abgang ist der Schluss- und Höhepunkt einer Schwächephase, wie sie die europäische Sozialdemokratie noch nie erlebt hat: Vor dem Sommer wurde in Portugal der SP-Premier José Socrates aus dem Amt gewählt, im September stolperte in Slowenien Borut Pahor, vergangene Woche in Griechenland Giorgos Papandreou. In Großbritannien war Gordon Brown vergangenes Jahr gescheitert. Und das vor dem Hintergrund, dass die mächtigen EU-Staaten Deutschland und Frankreich konservativ regiert werden.
Neben Faymann werden mit der neuen dänischen Premierministerin Helle Thorning-Schmidt bald überhaupt nur zwei von 27 Regierungschefs aus der Sozialdemokratie kommen. Fast wäre Faymann der einzige gewesen: Denn Thorning-Schmidt hatte an sich ein schlechtes Ergebnis eingefahren, ihren liberalen Gegenspieler und Premier Lars Lokke Rasmussen aber knapp geschlagen.
Eine leichte Verbesserung könnte Belgien bringen, wenn der wallonische SP-Chef Elio di Rupo es schafft, eineinhalb Jahre nach den Wahlen endlich eine Regierung auf die Beine zu stellen. Aber sonst sieht’s traurig aus für die Linke: In Schweden, Irland, den baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien, Bulgarien – überall sind konservative oder liberale Regierungschefs am Ruder. Italien ist mit dem unabhängigen Mario Monti jüngst die Ausnahme, und Zypern: Dort führt ein kommunistischer Präsident Dimitris Christofias die Regierung.
„Reden wir nicht davon, es sind das ganz traurige Zeiten“, sagte mir diese Woche ein Sozialist aus Belgien im Europaparlament in Straßburg, der lange dabei ist. „Unsere große Hoffnung ist jetzt Frankreich. Wenn Francois Hollande gegen Nicolas Sarkozy gewinnt, könnte es wieder aufwärts gehen.“ Aber auch das ist, trotz der Umfrageschwäche Sarkozys, keineswegs sicher: Hollandes Schwäche ist, dass er zwar lange SP-Chef war, aber noch nie ein Regierungsamt innehatte. Er war nicht einmal Staatssekretär. Ob die Franzosen ihn dann gleich zum Präsidenten machen? Wer weiß, und Sarkozy ist ein brutaler Wahlkämpfer.
Bleibt Deutschland: Dort wird erst 2013 gewählt. Der frühere SP-Finanzminister Peer Steinbrück tut im Moment alles, um sich mit der Unterstützung von Altkanzler Helmut Schmidt und einigen ihm zugeneigten Medien zum logischen Nachfolgers Angela Merkels hochzudiskutieren. Aber ob er es wird, ist nicht abschätzbar. Die SPD-Basis schätzt den schneidigen Steinbrück nicht sehr. In Berlin ist also alles offen.
Woher könnte eine inhaltliche und personelle Stärkung der Euro-Sozialdemokraten also kommen? Nicht zuletzt wegen der Schwäche auf der Ebene der Regierungen setzen viele europäische Sozialdemokraten jetzt auf das Europäische Parlament. Dort wird der bisherige SP-Fraktionschef Martin Schulz, ein wortgewaltiger Mann aus Aachen, ab Jänner das Amt des Parlamentspräsidenten übernehmen.
Schulz will den Job viel politischer, weniger diplomatisch und repräsentativ gestalten als seine Vorgänger. So hat er es angekündigt. Er möchte sich sehr aktiv in die Gestaltung der Union, in die Willensbildung der Regierungschefs einmischen. Das wird eine interessante Auseinadersetzung. Und aus österreichischer Sicht könnte dabei ebenfalls ein SPÖ-Mann eine Schlüsselrolle spielen, wie ich bereits mehrfach in anderem Zusammenhang geschrieben habe: Hannes Swoboda.
Er gehört zu den wirklich erfahrenen Europapolitikern der SPE, sitzt seit 1996 im EU-Parlament (wobei er ironischerweise als Wohnbaustadtrat von Wien der Vorgänger von Werner Faymann war). Swoboda rittert um die Schulz-Nachfolge als Chef der Fraktion, die er derzeit bereits geschäftsführend leitet. Seine Gegenkandidaten sind Catherine Trautmann aus Frankreich, die ehemalige sehr erfolgreiche Bürgermeisterin von Straßburg, und der Brite Stephen Hughes.
Alle drei Kandidaten genießen im SP-Klub in Straßburg hohes Ansehen. Nach derzeitigem Stand heißt der Favorit Swoboda, gefolgt von Trautmann und Hughes. Letzterer dürfte keine Chance haben, weil seine Labourpartei sich nicht von der Niederlage erholt hat, vor allem aber, weil er aus einem Land kommt, das nicht der Eurozone angehört. Das ist in Zeiten wie diesen ein K.o.-Kriterium.
In der direkten Konfrontation mit Trautmann (der Fraktionschef wird natürlich mit Mehrheit gewählt) spricht wiederum für Swoboda, dass er aus einem kleinen EU-Land kommt, den Parlamentsbetrieb kennt wie kaum ein anderer, er gilt als Mann der Mitte, der Ergebnisse bringt im Ausgleich mit den anderen Fraktionen. Und Swoboda hat die Mehrheit der Länderdelegationen auf seiner Seite, die aus Osteuropa praktisch geschlossen.
Auch Martin Schulz, der künftige Präsident, spricht sich offen für seinen derzeitigen Stellvertreter aus, genauso wie die deutsche SP-Delegation. Letzteres könnte aber gleichzeitig das Haupthindernis sein auf Swobodas Weg nach oben: es ist unklar, ob die Delegationen schon wieder einen deutschsprachigen, in manchen Ohren also „deutschen“ Fraktionschef wollen. Da klingt die Geschichte nach, ob das korrekt ist oder nicht.
Trautmann hat, wie es heißt, aber ebenso Chancen, wenn sie in die Stichwahl kommt. Von den rund 185 SP-Abgeordneten dürften ihr gut 50, 60 Stimmen sicher sein, vor allem aus Frankreich, Spanien und Italien. Bei den Fraktionschefs schneiden die Vertreter der großen Länder, umso mehr der Gründungsländer der EU, traditionell gut ab. Gegen sie spricht, dass der Fraktionschef der Konservativen mit Joseph Daul ebenfalls ein Franzose ist, der noch dazu auch aus dem Elsass kommt. Für manche ein bisschen viel Französisch in der Parlamentsführung. Für Trautmann ist vor allem die einflussreiche Frauenlobby in der SP-Fraktion. Viel hängt also davon ab, ob Hughes Abschneiden eine Stichwahl zwischen Swoboda und Trautmann erforderlich macht oder nicht.
Swobodas Stärke liegt im Gegenzug darin, dass er aus einem kleinen EU-Land kommt: Die haben zwar alle nur kleine Delegationen, aber sie sind auch sehr viele. Am 17. Jänner 2012 wissen wir mehr, das findet in Straßburg die Wahl von Präsidium und Fraktion statt.