Emanuele Ottolenghi: "Israel ist nicht das einzige Land, das verhindern will, dass der Iran die Bombe besitzt."

Foto: derStandard.at

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Atomanlage Arak im Iran.

Foto: EPA/HAMID FORUTAN

Bild nicht mehr verfügbar.

Ali Asghar Soltanieh, Irans Botschafter bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO).

Foto: Foto:Ronald Zak/AP/dapd

Emanuele Ottolenghi erfüllt fast alle Kriterien, die gemeinhin an einen "Hawk", einen politischen Falken US-amerikanischer Prägung, angelegt werden. Er befürwortet die Hegemonie Amerikas in der westlichen Welt, drängt auf ein scharfes Vorgehen gegen den Iran und sieht Israel als demokratischen Leuchtturm im Nahen Osten. Bloß dass er selbst kein US-Amerikaner ist, sondern Italiener. Der 42-Jährige, der in Bologna und Jerusalem Politikwissenschaft studiert hat, gilt als einer der umtriebigsten neokonservativen Publizisten Europas und leitete bis vor zwei Jahren das Brüsseler Transatlantic Institute, einem Ableger der US-Lobbyorganisation American Jewish Committee. Heute ist er Senior Fellow der "Foundation for the defense of democracy". Am Donnerstag sprach Ottolenghi auf Einladung der NGO Stop the Bomb, die für harsche Sanktionen gegen Teheran eintritt, in Wien über sein neues Buch, das sich mit den Iranischen Revolutionsgarden beschäftigt. derStandard.at traf ihn vorher auf einen Kaffee.

***

derStandard.at: Die Verhandlungen mit dem Iran drehen sich seit Jahren im Kreis, gleichzeitig wird heute verstärkt über eine "militärische Option" diskutiert, vor allem in Israel. Warum gerade jetzt?

Emanuele Ottolenghi: Sehen Sie, wenn Sie in eine Verhandlung gehen und bei Ihrem Gegenüber einen schwachen Punkt entdecken, schwächen Sie doch Ihre Position, wenn Sie ihm von sich aus versprechen, ihn dort nicht anzugreifen. Selbst wenn Sie gar nicht planen, es zu tun, hilft es meiner Ansicht nach nicht, ihm das mitzuteilen. Im Klartext heißt das: Egal wie man dem Iran diplomatisch gegenübertritt, ob mit Sanktionen oder Verhandlungen, ohne glaubhafte militärische Option geht es nicht. In vielen westlichen Hauptstädten wird über die Konsequenzen eines Angriffs nachgedacht, das sind alles wichtige Punkte. Aber trotzdem muss man die Iraner von Zeit zu Zeit daran erinnern, dass ein Angriff im Bereich des Möglichen liegt. Diese Debatte ist auch ein Werkzeug, um die internationale Gemeinschaft zu mehr Aktivität gegen das iranische Atomprogramm zu bewegen.

derStandard.at: Haben Sie das Gefühl, die internationale Gemeinschaft kann und will mehr tun?

Ottolenghi: Niemand fühlt bis dato die Dringlichkeit des Problems, darum will auch niemand das tun, was heute zwar Geld kostet, auf lange Sicht aber viel Geld spart, nämlich Sanktionen. Die Unentschlossenheit des Westens wird uns irgendwann in ein noch weit schwerer zu akzeptierendes und kostspieligeres Szenario führen.

derStandard.at: Es heißt doch, je höher der Ölpreis, desto weniger treffen die Sanktionen das iranische Regime. Welche Sanktionen würde es denn brauchen?

Ottolenghi: Ein hoher Ölpreis gibt dem Regime ganz einfach mehr Hartgeld, das es einsetzen kann um einige der Auswirkungen der Sanktionen auszugleichen. Ein Ölembargo hätte zumindest kurzfristig starken Einfluss auf den Ölpreis, mittel- und langfristig würde der Markt sich so wie beim Iranembargo in den 80er-Jahren an die neuen Gegebenheiten anpassen. Neue Technologien, die ohne Öl auskommen und heute noch von niemandem angewandt werden, würden dann wohl kostengünstiger. Klarerweise will aber niemand in der derzeitigen Weltwirtschaftslage zusätzlich Panik erzeugen, darum gäbe es eine Alternative zum Ölembargo: eine ölfreie Zone. Statt eines Ölembargos könnten die USA darauf verzichten, Produkte etwa europäischer Firmen zu kaufen, die mit iranischem Öl hergestellt wurden. Die USA kaufen große Mengen Benzin, Diesel und Kerosin aus Europa, Europa wiederum bezieht Öl, das dafür benötigt wird, aus dem Iran. Mit diesem Schritt könnten die USA den Preis für iranisches Öl verringern und das Regime würde weit weniger Einnahmen daraus generieren. Schon zwanzig Prozent weniger würden auf diesem Wege das Regime hart treffen.

derStandard.at: Sie haben sich in einem Artikel gegen die NATO-Intervention in Libyen ausgesprochen, weil sie den Atomambitionen Teherans förderlich sei. Wie war das zu verstehen?

Ottolenghi: Gaddafi hatte in den vergangenen Jahren versucht, sich durch das Ende seiner Atomforschung den Respekt der Weltgemeinschaft zu verkaufen. Die Gründe dafür lagen wohl in der Isolation seines Landes, dem Beispiel Irakkrieg und der schlechten Lage seiner Wirtschaft. Klar war aber, dass es eine Art Handel gibt: er gibt seine Atompläne auf und bekommt dafür Immunität in Sachen Menschenrechte. Dass er gestürzt wurde, als er gegen sein Volk vorging, sendet ein Signal an den Iran. Auch Teheran wurde gesagt, es müsse keinen Regime Change fürchten, wenn der Iran das Atomprogramm stoppt. Nun hat man dort die Lage in Libyen sehr genau beobachtet und ist zum Schluss gekommen, dass die Versprechen an Gaddafi falsch waren. Der Fall Libyen hat die Verhandlungen mit dem Iran erschwert.

derStandard.at: Der frühere IAEO-Direktor Hans Blix hat Zweifel geäußert, ob ein Militärschlag das Atomprogramm des Iran ernsthaft verzögern kann.

Ottolenghi: Man kann natürlich nicht das Wissen zerstören, das sich die Iraner über die Jahre angeeignet haben. Ein Angriff würde Teheran natürlich nicht auf alle Zeiten davon abhalten, die Bombe zu bauen. Aber er würde, wenn erfolgreich ausgeführt, jedenfalls zu einer signifikanten Verzögerung führen. Man könnte zum Beispiel das lagernde Uran zerstören, die Zentrifugen und Fabriken unschädlich machen. Das würde die Iraner viel Zeit kosten, all dies wiederherzustellen. Die Frage ist, wie viel Zeit man so gewinnen könnte, aber ich habe auch keine Antwort darauf. Was wir wissen ist, dass vor dem israelischen Angriff auf den Reaktor im Irak 1981 mit einer Verzögerung von höchstens drei Jahren gerechnet wurde, der Irak am Ende aber nie mehr zu dem Entwicklungsstand in Sachen Atomwaffen zurückkehren konnte. Man weiß auch nicht, wie das iranische Regime nach einem erfolgreichen Angriff mit der Demütigung fertig würde, wie die Volksgruppen, etwa die Kurden oder die Aseris, reagieren würden. Es geht bei all diesen Plänen nicht um eine Invasion im Iran, sondern um einen Luftschlag.

derStandard.at: Der Irak hatte aber im Gegensatz zum Iran aber nicht zwei Verbündete an den Grenzen Israels, nämlich die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon. Ist die Gefahr der Eskalation nicht auch für Israel selbst immens hoch?

Ottolenghi: Natürlich ist sie das. Gerade die aktuelle geopolitische Situation, in der sich Israel befindet, macht es schwierig die Konsequenzen vorherzusehen. Israel kann sich einen neuen Krieg nur leisten, wenn es die USA als starken Partner hinter sich hat, Ägypten und Jordanien auf seiner Seite sind. Das ist alles nicht mehr so fix. Auf der anderen Seite sind Hamas und Hisbollah schon heute eine große Gefahr für Israel, in zehn Jahren wären sie aber unter dem atomaren Schutzschirm des Iran eine unendlich größere Gefahr.

derStandard.at: Vergangene Woche wurde ein hochrangiger Revolutionsgardist bei der Explosion eines Waffenlagers nahe Teheran getötet. Er soll maßgeblich für die Entwicklung von Raketentechnologie verantwortlich gewesen sein. Der Iran sprach von einem Unfall, Gerüchte deuten auf Sabotage hin. Steckt Israel dahinter?

Ottolenghi: Der Iran hat sehr unterschiedliche Statements zu diesem Vorfall publiziert. Israel ist nicht das einzige Land, das verhindern will, dass der Iran die Bombe besitzt. Vieles, was in der Arbeit gegen den Iran passiert, ist ein Resultat der Zusammenarbeit vieler westlicher und nicht-westlicher Staaten. Falls es Sabotage war, fallen mir neben Israel einige Länder ein, die daran beteiligt sein könnten. Luxemburg gehört eher nicht dazu (lacht). Diesmal hat der Iran bestritten, dass Israel und die USA Schuld an der Explosion sind. Ich gehe davon aus, dass der Iran selbst nicht genau weiß, was da passiert ist, das Regime aber geheimdienstlich stark unter Druck steht. In den nächsten Wochen könnte es zu einer Säuberungswelle innerhalb der Revolutionsgarden kommen.

derStandard.at: Wie geht es eigentlich einem Menschen, der transatlantisch denkt, mit dem Gedanken, in einer radikalislamischen Diktatur wie Saudi-Arabien den wichtigsten Verbündeten zu haben?

Ottolenghi: Wissen Sie, ich stelle mir die Frage oft und komme zu dem Schluss, dass es mir wohl gleich geht wie meinem Vater, der zwischen Hitler und Stalin wählen musste. Für mich ist es eine klare Entscheidung. Die Saudis sind nicht demokratisch und nicht gemäßigt, das ist klar. Im Nahen Osten geht es aber um etwas anderes. Ein Land, nämlich der Iran, will das Gleichgewicht der Mächte in der Region zum Schaden der westlichen Interessen verändern. Dazu gehört übrigens auch der freie Fluss der Rohstoffe. Die Saudis wollen nichts verändern. Das ist in anderen Gesichtspunkten schlecht, etwa weil wir es verurteilen dass Frauen nicht Autofahren dürfen oder Menschen enthauptet werden. Geopolitisch ist Saudi-Arabien nicht an Veränderung interessiert, darum arbeiten wir mit ihm. Falls der Iran eines Tages nicht mehr Islamische Republik ist und nicht mehr hegemonische Interessen hegt, ist Saudi-Arabien nicht mehr so wichtig für uns - und wir können Dinge, die uns stören, offener ansprechen. (flon/derStandard.at, 18.11.2011)