Das Krankenhaus als Ort der tödlichen Umarmung: Susanne Wuest und Helmut Berger in "Mörderschwestern".

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"Die Kunst ist nicht freier, sondern kontrollierter geworden": Filmemacher und Schauspieler Peter Kern.

Kern, 62,  wuchs in der Wiener Leopoldstadt auf, war Sängerknabe und spielte unter Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Schroeter und Christoph Schlingensief. Seit 1980 dreht er selbst Filme.

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Dominik Kamalzadeh traf den österreichischen Regisseur.

Standard: Sie haben seit dem Jahr 2000 fast jedes Jahr einen Film realisiert. Wie viele wurden gefördert?

Kern: Ein einziger wurde richtig groß gefördert, Blutsfreundschaft - durch den Filmfonds Wien und das ÖFI. Vom BMUKK gab es zweimal Förderungen.

Standard: Haben Sie jeden Film eingereicht?

Kern: Nein, deswegen sind ja so viele Filme entstanden. Ich halte es als kreativer Mensch gar nicht aus, so lange auf Entscheidungen zu warten. Ich bin ein Geschichtenerzähler - wenn die nicht herauskommen, dann verfaulen sie wie ein Baby im Bauch.

Standard: Wie finanzieren Sie die Arbeiten dann?

Kern: Abgesehen von der kleinen Filmförderung durch Motivation - der Eigenmittelanteil beträgt bis zu 30.000 Euro, das heißt aber, dass die Wertigkeiten bei 400.000 Euro liegen, weil die Leute ihre Gagen zurückstellen. Das ist ein System von Fassbinder. So hat er seine ersten Filme gemacht. Wenn etwas reinkommt, kriegst du deinen Anteil. Ich erhalte heute noch für Faustrecht der Freiheit 18,40 Euro im Jahr überwiesen.

Standard: In einem Essay über den österreichischen Filmpreis haben Sie geschrieben, dass Sie diese Form der Repräsentationskultur am liebsten mit einem Putzlappen wegwischen würden. Wie entstehen solche Fantasien?

Kern: Durch das Angebot - ich bin jemand, der etwas sieht, aufsaugt und auf sich selber bezieht. Was fange ich mit dem an, das mir die Welt erzählt? Da ist gleich ein Konflikt, das Zentrum jeder Dramaturgie. Und das ist eine Bereicherung - ich lerne ja davon. Hass kann auch etwas sehr Kreatives sein - bei mir ist es eine treibende Kraft. Ich schreibe auch gerne Essays, in denen man sich im Wunschdenken üben kann. In der FAS habe ich einen Text gegen Theater heute geschrieben, das einen üblen Machtanspruch ausübt.

Standard: Anlass war die geplatzte Lulu am Burgtheater, in der Sie mitgewirkt hätten ...

Kern: Ja, wir leben in einer Empörungskultur! Das schließt aber meist das Denken aus. Empörung ist eine Schlagzeile, schafft Hysterie, aber hinterher folgt nichts mehr. Das ist unverantwortlich.

Standard: Die Aufregung über das Ausscheiden Birgit Minichmayrs war Ihnen also zu übertrieben?

Kern: Ich bin für die Subventionierung des Scheiterns. Etwas, das funktioniert, da es sich den Wünschen anpasst, braucht nicht subventioniert zu werden. Theater muss eigentlich immer scheitern - eigentlich sollten die Produktionen so lange nicht herauskommen, bis das Publikum heiß wird und die Theater stürmt. Das wäre ein wunderbarer Moment.

Standard: Wie denkt der Wutbürger Kern über die Verleihung der Nestroy-Preise?

Kern: Ich möchte einen Verein zur Abschaffung der Romy und der Nestroy-Preise gründen. Das ist die spießigste Veranstaltung von allen - schauderhaft. Da sieht man Leute, die um alles kämpfen und keine Subvention bekommen, und in der nächsten Einstellung dann Kulturstadtrat Mailath-Pokorny, der dazu applaudiert. Eine Dauerkotzsendung.

Standard: Aber beklagen sich nicht umgekehrt die Künstler ständig über zu wenig Aufmerksamkeit?

Kern: Dies ist die Armut der Kunst, Künstler sind ein Teil des Marktes und werden entweder wie Schmuckstücke oder wie Kartoffel behandelt. Die Kunst ist nicht freier, sondern kontrollierter geworden und ist dort, wo jede falsche Kulturpolitik landet: im Marketing. Eingeweicht, amüsiert, bedient: Die Kunst ist ein Wohnzimmer, und da lassen die Leute sich nicht hineinferkeln.

Standard: In Ihrem neuen Film Mörderschwestern gibt es auch einen Gegner: das Publikum, das Sie herausfordern. Wie kam es zur Idee eines interaktiven Films?

Kern: Das ist eigentlich eine ganz kindliche - wie im Kasperltheater, wo man dem Kasperl zuruft: "Erschlag sie, erschlag sie!" Dann gab es ein prägendes Erlebnis als Zehnjähriger - leider zu früh: Ich war in einem Stegreiftheater, da wurden die Leute auf der Bühne ermordet, geköpft.

Standard: Das wollen Sie nun mit dem Kino therapieren?

Kern: Ich wollte das Kino mehr an mich heranlassen, ich bin ja sehr emotional im Kino und lebe mit den Schicksalen mit: Bei Whores' Glory habe ich geweint. Ich wollte die Leinwand aufreißen und die Menschen berühren - oder ihnen eine in die Goschen hauen.

Standard: Weil die Menschen zu voyeuristisch sind?

Kern: Wir schauen doch alle zu Hause am liebsten Thriller. Warum suchen wir einerseits die Toten und empören uns darüber, dass es den Fall Fritzl gibt? In meinem Film wird man drinnen sitzen und mitspielen - "Wollen Sie den umbringen oder den?" -, und nach dem Kino wird man sich abputzen. Oder etwas nachdenken.

Standard: Das klingt pädagogischer, als ich vermutet habe.

Kern: Das sind Dinge, die ich mich auch frage. Man kann ja nur von etwas reden, was man sehr gut kennt. Aber ich breche das natürlich auf: Das Publikum ist bei mir der Mörder und merkt nicht, dass es gleichzeitig auch Opfer ist.

Standard: Dafür sind die Marginalisierten bei Ihnen stets diejenigen, die mehr wissen ...

Kern: Ja, die Stummen und Unterprivilegierten dürfen bei mir die Wahrheit sagen. Das ist mir ganz wichtig - darum auch meine große Leidenschaft für Hurengeschichten wie schon früh in Domenica. So ist aber auch mein Leben. Ich habe mehr Spaß, mehr Zuwendung und Liebe von Menschen erfahren, die gequält wurden, als von irgendwelchen Immobilienmaklern.
(DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2011)