Viele Bewerbungen wandern unbeantwortet in den Papierkorb.

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Wolfgang Elšik, Professor an der Wirtschaftsuniversität.

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Wolfgang Elšik, Institutsvorstand des Department of Human Resource Management an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat die Studie "Career's Best Recruiters" wissenschaftlich begleitet. Unter die Lupe genommen wurde u.a., wie die 500 größten Arbeitgeber Österreichs auf Initiativbewerbungen reagieren. Über die Hälfte der 2.000 Bewerbungen blieb unbeantwortet. Eine Ignoranz, die Unternehmen auf den Kopf fallen kann, warnt Elšik im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Laut einer vor kurzem publizierten Studie, die Österreichs 500 größte Arbeitgeber unter die Lupe nahm, gab es bei Initiativbewerbungen eine Rücklaufquote von unter 47 Prozent. Ist das ein guter Wert?

Elšik: Nein, denn eigentlich müsste es eine Rücklaufquote von hundert Prozent geben. Ich würde das unter "altmodische Höflichkeit" subsumieren, weil es da ähnliche Prozesse gibt. Natürlich wird es Unternehmen geben, die zig Initiativbewerbungen pro Tag bekommen. Das verbraucht Ressourcen. Man sollte aber zumindest einen Schimmelbrief haben, um Leuten einen Zweizeiler zurückzuschreiben. Wie etwa: "Im Moment haben wir keine passende Stelle frei. Wir erlauben uns, Sie bei Bedarf zu kontaktieren." Das kostet weitaus weniger, als einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.

derStandard.at: Glauben Sie, dass solches Ignorieren von Bewerbungen Firmen später auf den Kopf fällt?

Elšik: Die Situation ist paradox. Auf der einen Seite gibt es die heftig geführte Diskussion über Employer Branding und den Kampf um Talente, also die steigende Bedeutung von Rekrutierung. Und auf der anderen Seite existiert diese Ignoranz. Firmen pflegen ihre Marke als Arbeitgeber oder bauen Beziehungen zu Bildungseinrichtungen auf, um an Spitzenleute zu kommen. Bei anderen Segmenten - wie etwa bei Praktikanten - werden keine Bemühungen angestellt. Selbst wenn man als Firma momentan keinen Bedarf an solchen Arbeitskräften hat, sollte man in irgendeiner Weise reagieren. Auch wenn es noch so pauschal ist.

derStandard.at: Kann sich solche Ignoranz verselbstständigen?

Elšik: Gerade in Zeiten, wo die Social Media-Instrumente in der Rekrutierung an Bedeutung gewinnen, wird die Konsequenz solchen Agierens nicht richtig abgeschätzt. Jene, die sich schlecht behandelt fühlen, können das an ziemlich viele in ziemlich kurzer Zeit kommunizieren. Der schreibt dann: "Ich war bei einem Vorstellungsgespräch eingeladen und der Recruiter sagt, die Fragen stelle ich." Das ist natürlich fatal und wenn es an Eigendynamik gewinnt - im Sinne von Informationsverteilung - kann ich das als Unternehmen in keiner Weise mehr steuern.

derStandard.at: Fehlt es am Bewusstsein?

Elšik: Wahrscheinlich ist es wirklich eine Bewusstseinsfrage, wo es um eine richtige Einschätzung geht: "Kleine Ursache, große Wirkung". Wir haben alle an Arbeitsverdichtung zu leiden und wenn irgendetwas nicht den größten Problemdruck erzeugt, fällt das von der Agenda runter. Das hat aber etwas mit Stil zu tun, weil man ja vieles automatisieren könnte.

derStandard.at: Warum versagen auch größere Unternehmen mit eigenen Personalabteilungen?

Elšik: Gerade ins Recruiting werden oft Anfänger gesteckt, die ihre Arbeit in der Personalabteilung noch kaum begonnen haben. Ein Fehler, denn zunächst sind alle, die neue Aufgaben übernehmen, leicht überfordert. Rekrutierungschancen hängen ja nicht nur davon ab, wie schön geschrieben meine Stellenanzeigen sind oder wie professionell ich ein Vorstellungsgespräch führen kann, sondern das beginnt ja schon viel früher. Dazu gehört auch, wie ich mich Leuten gegenüber verhalte, die ich nicht kenne. Viele Unternehmen laufen Gefahr, ihre Reputation zu ruinieren. Dieses Manko ist mit so wenigen Ressourcen behebbar.

derStandard.at: Was sollte als Minimum im Umgang mit Bewerbern definiert werden?

Elšik: Zumindest eine Reaktion. Wenn man die Absage begründet, ist das schon wieder mit mehr Aufwand verbunden. Das ist eine strategische Entscheidung, ob man jemanden einstellt, der den ganzen Tag nur damit beschäftigt ist, Absagen zu formulieren. Es spricht nichts dagegen, unterschiedliche Bewerbergruppen unterschiedlich zu behandeln. Man behandelt ja auch Mitarbeiter unterschiedlich.

derStandard.at: Das heißt, der eine bekommt eine standardisierte Antwort und der andere eine Begründung?

Elšik: Wenn es standardisierte Bewerbungen gibt, kann es auch standardisierte Absagen geben. Man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst. Aber wenn ich ein bestimmtes Segment als für mich besonders wichtig definiere, dann werde ich mich auch besonders darum bemühen. Nicht nur aktiv, sondern auch passiv. Es wird ökonomisch nicht sinnvoll sein, bei einem anderen Segment den gleichen Aufwand zu betreiben. Genauso wie es eine Umwegrentabilität gibt, wird es auch einen Umwegverlust geben, den Firmen kassieren, wenn Bewerber von ihren negativen Erfahrungen berichten. Ein deutlicher Schritt in Richtung Professionalisierung der Rekrutierung wäre, Bewerbungen in Evidenz zu halten. In Form einer Datenbank. Das kann man ja dann proaktiv verwenden.

derStandard.at: Werden Unternehmen mit Bewerbungen überschwemmt?

Elšik: Sicher wird es das Problem geben. Ich kann mir vorstellen, dass das auf Unternehmen wie Google oder bei uns die OMV zutrifft. Das kann dann natürlich schon eine relevante Kostengröße sein. Gerade solche Betriebe verfügen aber über die notwendigen Mittel, um mit solchen Situationen umgehen zu können.

derStandard.at: Diskriminierung von Bewerbern ist auch immer wieder ein Thema.

Elšik: Wir wissen, dass es Differenzierung und Diskriminierung bei der Personalbeschaffung gibt. Es gibt Versuche, diese Vorselektionsmechanismen zu eliminieren, damit Leute nicht aufgrund ihrer Bewerbungsunterlagen diskriminiert werden. Etwa im Hinblick auf Geschlecht, Alter oder ethnischem Hintergrund. Anonyme Bewerbungen sind ein Trend, der aus den USA kommt und in Deutschland in Ansätzen schon da ist. Ein Amerikaner versteht zum Beispiel nicht, dass jemand im Rahmen seiner Bewerbung ein Foto mitschickt. Da befindet man sich bereits mitten in der Diskriminierung. Bei uns ist das normal.

derStandard.at: Lässt sich auf diese Weise Chancengleichheit herstellen?

Elšik: Diskriminierung lässt sich nicht ganz verhindern. In der Regel gibt es bei qualifizierten Jobs mehrstufige Auswahlverfahren, wo dann spätestens beim persönlichen Gespräch klar wird, um wen es sich handelt. Wenn man diskriminieren will, kann man das immer tun. Allerdings ist das einen Versuch wert.

derStandard.at: Sollen öffentliche Institutionen hier eine Vorreiterrolle einnehmen und auf anonyme Bewerbungen setzen? In der Hoffnung, dass Private nachziehen.

Elšik: Das wäre eine Möglichkeit, allerdings ist es fraglich, ob sich Betriebe aus der Privatwirtschaft in ihrer Rekrutierungspraxis an öffentlichen Ämtern orientieren wollen. Man wird immer Wege finden, um Dinge zu umgehen. Es wäre aber ein Schritt in die richtige Richtung, um zumindest eine Diskriminierungsebene auszuschalten. Ob sich anonyme Bewerbungen in der Praxis durchsetzen, ist in hohem Maße kontextbezogen. Das heißt, dass der kulturelle oder arbeitsrechtliche Kontext eine große Rolle spielt. Und der ist in den USA ein anderer als jener in Deutschland oder Österreich. (om, derStandard.at, 23.11.2011)