Das Limit galt als Kern einer Schuldenbremse - und findet sich nun gar nicht direkt im Gesetzestext wieder. Festgeschrieben ist aber ein Verweis auf europäische Verpflichtungen zur "Haushaltsdisziplin": Demnach darf die Gesamtverschuldung maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Bis 2020 will Österreich von derzeit 75 Prozent auf dieses Niveau kommen.

Zero-Tolerance sieht die Schuldenbremse für Länder und Gemeinden vor: Sie sollen ab 2017 ausgeglichen bilanzieren. Allerdings haben die Landeshauptleute eine in der Vergangenheit weidlich ausgenützte Möglichkeit, den Spardruck zu lindern: Beim alle vier Jahre stattfindenden Finanzausgleich feilschen Bund, Länder und Gemeinden um die Aufteilung der staatlichen Steuereinnahmen - wobei die Landeshäuptlinge selten schlecht ausstiegen. Der aktuelle Finanzausgleich gilt noch bis Ende 2014.

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Ein kontinuierliches Gefälle sieht die neu konzipierte Schuldenbremse vor: Bis 2017 will die Regierung das strukturelle Defizit von derzeit 2,8 auf 0,35 Prozent senken und diese Grenze dann nicht mehr verletzen. Allerdings gibt es einen gewissen konjunkturellen Spielraum: Wirtschaftseinbrüche erlauben höhere Defizite, die dann aber wieder abgebaut werden müssen.

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Michael Spindelegger bemühte sich um feierliche Wortwahl. "Eine historische Dimension" attestierte der Vizekanzler dem 120. Ministerrat der Regierung, zumal diese eine Entscheidung gefällt habe, die "viele Konsequenzen" nach sich ziehe. Die entscheidende Folge soll ein ausgeglichenes Budget sein - denn, wie es Kanzler Werner Faymann bodenständig ausdrückte: "Wir können nicht mehr Geld ausgeben, als wir haben."

Nach Verhandlungen bis drei Uhr früh haben die Koalitionsparteien am Dienstag gefeiert, was anfangs beide - die SPÖ länger als die ÖVP - für unnötig hielten: eine Schuldenbremse. Für den Meinungsumschwung hat die wirtschaftliche Großwetterlage gesorgt. "Zuletzt ist an den Märkten, etwa wegen Italien, viel Nervosität aufgekommen", sagte Finanzstaatssekretär Andreas Schieder: "Deshalb unser Kalkül: Was die Märkte am stärksten beruhigt, ist eine Schuldenbremse nach dem Vorbild Deutschland."

Diese ist eigentlich mehr eine Defizitbremse denn eine Schuldenbremse. Die Limits, die in der Verfassung verankert werden:

  • Ausgeglichener Haushalt Ab 2017 darf das strukturelle Budgetdefizit des Bundes nicht 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Um vom derzeitigen Niveau (minus 2,8 Prozent) aus das Ziel rechtzeitig zu erreichen, muss die Regierung bis dahin das Defizit, wie Faymann sagt, "um zwei Milliarden Euro pro Jahr herunterfahren". Wie, ist allerdings nach wie vor umstritten.
  • Pufferzone Verfehlt die Regierung die 0,35 Prozent, wird der Überhang in einem Kontrollkonto festgeschrieben. Überschreitet die Belastung 1,5 Prozent des BIPs, muss diese - wie es im Gesetzesentwurf heißt - "konjunkturgerecht" abgebaut werden.
  • Konjunkturspielraum Noch eine Hintertür: Relevant für die Schuldenbremse ist das strukturelle Defizit, das laut EU-Vorgaben berechnet wird. Nicht inkludiert sind Budgetposten, die sich mit der Konjunktur verändern - das Gesamtdefizit kann also über den 0,35 Prozent liegen. Aber: Schlägt der Ab- in einen Aufschwung um, muss die Regierung das Minus wieder "symmetrisch" abbauen. "Echten Keynesianismus" sieht Schieder damit verwirklicht, nämlich "auch den Teil, der in der Vergangenheit oft vergessen wurde: Dass Defizite in guten Zeiten wieder abgebaut werden müssen".
  • Krisenmechanismus Im Falle von Naturkatastrophen oder einer außergewöhnlichen Krise wie 2008 kann die Regierung alle Grenzen überschreiten: Dafür reicht eine einfache Mehrheit im Parlament - ein markanter Unterschied zum Entwurf des Finanzministeriums, der noch eine Zweidrittelmehrheit vorsah. Allerdings muss die Regierung gleichzeitig einen Plan vorlegen, wie sie das Defizit in einem "angemessenen Zeitraum" wieder abzubauen gedenke.
  • Schuldenlimit Die "magische" Grenze von 60 Prozent des BIPs, die der Schuldenstand nicht überschreiten darf, steht nicht explizit, sondern indirekt im Gesetz - und zwar in Form eines Verweises auf die entsprechenden schon bisher gültigen EU-Vorschriften. Dass diese in der Verfassung verankert werden, hat laut Finanzministerium nicht nur einen symbolischen Effekt: Verletzt eine Regierung die Regeln, könnte ein Budget nun per Verfassungsklage gekippt werden.
  • Länderpassus Auch Länder und Gemeinden sollen schuldengebremst werden - und zwar heftiger als der Bund. Für die Gebietskörperschaften ist ein Nulldefizit Gebot, ihr Toleranzpuffer beträgt 0,25 Prozent des BIPs. Auf Dauer verankert wird auch der Stabilitätspakt, der für Bund, Länder und Gemeinden den Konsolidierungsfahrplan koordiniert. Die aktuelle Version würde noch bis 2014 gelten. Wegen der neuen Ziele braucht es ab 2013 nun aber einen modifizierten Pakt.

Die Landeschefs wollen die Vorschriften aber nicht ohne weiteres schlucken. Gegen ein "Bundesdiktat" wendet sich der Oberösterreicher Josef Pühringer und pocht - wiewohl er die Schuldenbremse als Signal begrüßt - ebenso auf Verhandlungen wie die Salzburgerin Gabi Burgstaller, die derzeit den Landeshauptleuten vorsitzt: "Beim Ziel sind wir uns einig. Der richtige Weg sollte gemeinsam gefunden werden." Auch Vorarlbergs Herbert Sausgruber kritisiert, dass die Vorhaben nicht akkordiert wurden.

Bockig geben sich auch die Oppositionsparteien, von denen die Regierung eine braucht, um die Verfassung zu ändern: Den Grünen gehen die Pläne zu weit, dem BZÖ sind sie zu langsam; beide wollen aber verhandeln. Die FPÖ signalisierte erst Zustimmung - um dann die (politisch unerfüllbare) Bedingung einer Volksabstimmung über den Eurorettungsschirm zu stellen.  (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.11.2011)