Die Realität Mehrsprachigkeit im Karl-Seitz-Hof in Wien Floridsdorf.

Foto: Semotan

Mit der Aussage, dass Türkisch in Österreich keine Fremdsprache sei, hatte die Germanistin Inci Dirim im März diesen Jahres für Aufregung gesorgt. Vor allem ihre Vorstellung, die Sprache könnte nicht nur als Maturafach, sondern in "ferner Zukunft" auch als Unterrichtssprache in anderen Fächern angeboten werden, löste heftige Reaktionen aus. Als den "absolut falschen Weg" bezeichnete Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz die Idee. Auch in universitären Kreisen wurde Dirim für ihre Aussagen kritisiert.

Als Reaktion darauf wird am 23. November ein Aktionstag für Mehrsprachigkeit stattfinden, veranstaltet von der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät - an der Dirim die erste Professur für Deutsch als Zweitsprache innehat. Viele Rückmeldungen seien "nicht angemessen" gewesen und würden "von keiner guten Diskussionskultur zeugen" sagt Dirim zum Standard. "Jetzt wollen wir zeigen, dass wir uns des Themas Mehrsprachigkeit annehmen - aber in ganz anderer Form".

In Wien sprechen 52 Prozent der Schüler nicht Deutsch als Erstsprache. Dirim kritisiert die Strategie, Mehrsprachigkeit als Randphänomen abzutun. Paradox erscheint ihr zum Beispiel, dass es an den Schulen für Türkisch sehr viel weniger Möglichkeiten als für Englisch gebe, "obwohl es in Österreich sehr viel mehr Türkisch sprechende Menschen gibt, die in türkischen Lebenswelten aufwachsen."

Dabei verhandelte die Regierung unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereits im April die Einführung von Türkisch als Maturafach. Auf der einen Seite stehen Befürworter wie der Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia, darauf verweisend, dass Türkisch - als zweitgrößte Sprachgruppe - bereits an Hauptschulen als Fremdsprache angeboten wird. Oder Alev Korun, Integrationssprecherin der Grünen, die in einem Gastkommentar die "Entweder-oder-Logik" bei der Sprachdebatte kritisierte. Auf der anderen Seite: Wortmeldungen wie die des ehemaligen BZÖ-Generalsekretärs Christian Ebner, der ebenfalls via Gastkommentar ausrichten ließ, das Angebot von Türkisch als zweite lebende Fremdsprache sei "unnötig wie ein Kropf". Mit dem Argument, von diesem Angebot würden "nur lernfaule türkische Schüler profitieren". Auf Facebook findet sich eine Seite mit dem Titel "Gegen Türkisch als Matura-Fach in Österreich". Ein User schreibt darin: "Es gibt mehr als genug Zuwanderer, die nach über zehn Jahren immer noch kein Deutsch sprechen. "

Wieso erhitzt die Debatte um den Sprachunterricht die Gemüter? Eva Vetter, Leiterin des Fachdidaktischen Zentrums an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, verweist darauf, dass Sprache "tief geht und alle Menschen in ihren Facetten des Menschseins betrifft".

Mehrsprachigkeit sei nicht anerkannt. "Wir sehen immer nur die eine Sprache - alles, was von Deutsch abweicht, sehen wir als Defizit. Die Gesellschaft entwickelt sich aber in Richtung einer dynamischen Mehrsprachigkeit." Im schulischen Umgang würden Sprachen noch immer als "klar eingrenzbare, in sich abgeschlossene Einheiten" gesehen. "Das entspricht aber schon längst nicht mehr den sprachlichen Praktiken, die wir viel differenzierter sehen müssen. Das kommt jetzt langsam ins Blickfeld - und bringt das ganze System ins Wanken". Es gelte als erwiesen, dass Kinder, die ihre Familiensprache erlernt haben, sich Zweitsprachen leichter aneignen könnten. Daher beantworte sich die Frage, ob Türkisch als Fremdsprache unterrichtet werden soll, für Vetter von selbst: "Es ist eine gelebte Sprache in Österreich und sollte auch an den Gymnasien unterrichtet werden."

Inci Dirim verdeutlicht die Schwierigkeiten mit der Sprachenvielfalt an dem Beispiel einer Schule in Wien-Ottakring: Sie werde vermehrt von Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch besucht, "Die Schule wird das Programm aber nicht umstellen. Denn es gilt als selbstverständlich, dass auf Deutsch unterrichtet wird. Dabei sollte die nationale, deutschsprachige, österreichische Schule zu einer Schule in Österreich werden, die sich der Realität annimmt." (DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2011)