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Das Darmbakterium Escherichia coli kann bei gleicher genetischer Ausstattung unterschiedliche Phänotypen hervorbringen: Ein Teil setzt auf möglichst schnelles Wachstum, der andere ist unempfindlicher gegen unwirtliche Umweltbedingungen wie Antibiotika-Behandlungen.

Foto: Manfred Rohde/Helmholtz-Zentrum fuer Infektionsforschung/dapd

Es ist schon seit längerem bekannt, dass es für ein Individuum selektive Vorteile bringen kann, Nachkommen mit unterschiedlich "angeschalteten" Genen in die Welt zu setzen. Solche Variationen wären also selbst an genetisch identischen Individuen, wie eineiigen Zwillingen oder "Klonen", zu beobachten. Dies würde dann Vorteile bringen, wenn sich die Umweltbedingungen über kurze Zeiträume auf unvorhersehbare Art und Weise verändern. Verändert sich zum Beispiel die Temperatur während der Fortpflanzungsperiode auf unvorhersehbare Weise macht es evolutionär Sinn, zwei Varianten zu produzieren: eine, die an kalte Umweltbedingungen, und eine, die an warme Umweltbedingungen angepasst ist.

Dieses Phänomen wird im englischen Fachjargon "Bet-hedging" genannt. Das bedeutet nichts anderes, als dass man sich durch das Verteilen seiner Wetteinsätze gegen verschiedene mögliche Ereignisse absichert. Beim Bet-hedging als evolutionäre Strategie sind die Wetteinsätze die Nachkommen und die möglichen Ereignisse die verschiedenen Umweltbedingungen. Auch wenn die Vorteile des Bet-hedgings in der theoretischen Forschung belegt sind, kann ein solcher Mechanismus in der Natur nur bei wenigen Arten beobachtet werden. So keimen etwa bei bei einigen Planzenarten genetisch identische Samen unter gleichen Umweltbedingungen zu verschiedenen Zeitpunkten, was einen Schutz gegen den Tod aller Nachkommen durch schlechte Keimbedingungen bietet.

"In letzer Zeit wurde das Phänomen des Bet-hedgings auch bei Bakterien nachgewiesen", sagt Hannes Svardal, Biomathematiker an der Uni Wien. "Bei einigen Bakterienarten entstehen bei der Zellteilung unterschiedliche Typen: ein sich schnell vermehrender aber empfindlich auf Umweltänderungen reagierender Typ und ein sich langsam teilender Typ der aber schlechte Umweltbedingungen überstehen kann."

Diese deutlichen Fälle von Variation als Anpassung sind, wie gesagt, recht selten. Andererseits ist aber die Übersetzung jedes Gens in Merkmale von vielen zufälligen kleinen Fehlern geprägt, die zusammenaddiert zu Variation zwischen genetisch identischen Individuen führen kann. Diese Form der phänotypischen Variation wurde ursprünglich von der Wissenschaft als ein notwendiges Übel eines nicht perfekten Prozesses gesehen.

Abweichungen als Schutz

In ihrem Aufsatz in der Zeitschrift Evolution untersuchen Svardal und seine Kollegen Claus Rüffler und Joachim Hermisson (ebenfalls Uni Wien) den Effekt von vielen kleinen zufälligen Abweichungen in der Gen-Expression. Sie kommen zu dem Schluss, dass auch diese ungezielte Variation als Bet-hedging-Mechanismus ein Schutz gegen schwankende Umweltbedingungen sein kann. Mit anderen Worten: Auch die Evolution eines erhöhten Zufallsfaktors in der Regulierung von Genen kann durchaus Vorteile bringen.

Die Forscher vergleichen die Vorteile dieser evolutionären Strategie mit einer anderen Anpassung an sich ändernde Umwelten: Der Entstehung von mehreren unterschiedlichen genetischen Varianten, von denen jede ihre eigenen Anpassungen entwickelt. Bei zweiterer ist klar: Sie sorgt für gezieltere Anpassungen. Svardal und seine Kollegen zeigen, dass dies vor allem dann wichtig ist, wenn die Umweltbedingungen zwischen verschiedenen Extremen variieren, von denen einige viel häufiger sind als andere. Ein typisches Beispiel hierfür wäre die Anpassung an Waldbrände, die zwar nur selten auftreten, dann aber einen starken Ausleseeffekt haben.

Andererseits müssen verschiedene genetische Varianten aber die Möglichkeit haben, auch Zeiträume mit für ihre spezielle Anpassung ungünstigen Bedingungen zu überstehen, um nicht auszusterben. Es ist also nötig, dass sie eine langlebige Phase haben, in der ihr spezieller Phänotyp keine Rolle spielt. Im oben genannten Beispiel könnten das etwa feuerresistente Samen sein.

"Auf alles vorbereitet"

Die zuletzt genannte Einschränkung für den Erhalt verschiedener genetischer Varianten ist gleichzeitig der große Trumpf des Bet-hedgings. Da hier immer einige Nachkommen die richtige Anpassung haben, ist diese Spezies quasi "auf alles vorbereitet".

Die Schlussfolgerung der Evolutionstheoretiker: Die Produktion von Nachkommen mit vielen verschiedenen Phänotypen sollte vor allem in kurzlebigen Arten, die nur eine oder wenige Fortpflanzungsperioden erleben, eine wichtige Rolle spielen. Ob solche kurzlebigen Arten, die starken Umweltschwankungen unterworfen sind, in der Natur tatsächlich ein höheres Niveau an Schwankungen in der Gen-Expression aufweisen, bleibt zu zeigen. Die besten Kandidaten befinden sich wiederum in der Welt der Mikroorganismen. (tasch/13.11.2011)