Call of Duty: Modern Warfare 3 (Infinity Ward/Sledgehammer Games/Activision) ist für PC, PS3 und Xbox 360 erschienen.

Foto: Activision
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Was bei Filmen "Star Wars" ist und bei Literatur "Harry Potter", ist bei Videospielen "Call of Duty". Activisions Egoshooter-Franchise erzählt nicht von Todesstern und Jedi-Rittern oder von den fantastischen Abenteuern eines Zauberlehrlings - es begeistert die Massen mit dem Schauplatz Krieg. Der Start der Serie 2003 führte in die Schützengräben des zweiten Weltkriegs, ließ Spieler in den Schuhen eines US-Paratrooper an der Invasion der Normandie oder als Sowjet an der Stürmung des Reichstags teilhaben. Mit dem Beginn der "Call of Duty: Modern Warfare"-Reihe vor ziemlich genau vier Jahren wurde das Geschehen erstmals in die Gegenwart geholt. Wie ein erschreckender Blick in eine sehr vertraute Parallelwelt inszenierten die Autoren und Entwickler ein fiktives Terrorszenario im Nahen Osten und spinnen die Vision im Finale "Modern Warfare 3" (MW3) zum Weltkriegsdrama weiter. Das Ergebnis: Der dritte Verkaufsrekord für "Call of Duty" in Folge. Mit 9,5 Millionen Exemplaren wurden allein in den ersten 24 Stunden weltweit knapp 600 Millionen US-Dollar umgesetzt - mehr als je ein Spiel, Film oder Album zuvor. Selbst David Camerons imposantes "Avatar" kann da nicht mithalten.

Das Rezept zum Erfolg

Um zu verstehen, weshalb am vergangenen Dienstag um 00:01 Uhr bereits 1,5 Millionen Fans 13.000 Läden zum Mitternachtsverkauf leerräumten, braucht man nicht mehr als die ersten 15 Minuten von MW3 zu spielen. Ein russischer Ultranationalist namens Makarov hat die USA nach einer Serie erschreckender Anschläge in den Krieg mit Russland verwickelt. Rund um den Globus brennt es, aus dem digitalen Nichts erwacht man als Delta Force Sgt. Derek "Frost" Westbrook in den explodierenden Ruinen Lower Manhattens. Die russische Arme ist dabei, die Wall Street zu erobern. Die US-Flagge über der Börse hängt in Fetzen herunter, im Inneren liefern sich bleispuckende Menschen anstelle von Bullen und Bären eine erbitterte Schlacht. Vom Dach eines Wolkenkratzers in den Hubschrauber gerettet, kreist man zwischen den Giganten des Kapitalismus wie eine Biene mit einer Gatling als Stachel und holt feindliche Truppen vom Himmel. Granaten zischen durch die Straßen, Fensterscheiben zerbersten, Rotoren schleudern in die Hochhäuser, Kameraden und Gegner sterben wie die Fliegen. Im nächsten Moment befindet man sich bereits unter Wasser tauchend bei einem Sabotageakt eines russischen Atom-U-Bootes. Durch Sprengladungen wird der schwimmende Koloss an die Oberfläche gezwungen. Die Enterung gelingt, die geladenen Cruise-Missile-Rakten werden zum Beschuss der im Hafen gelandeten russischen Flotte gezündet.

Achterbahnfahrt für Hobbysoldaten

Es ist der Anfang einer Trommelfell durchstoßenden Achterbahnfahrt durch Terror und Krieg vor der eigenen Haustür und geht über in einen Action-Thriller rund um die Jagd auf den puppenspielenden Oberbösewichten. In der Haut des Agenten Andrei Harkov versucht man an Bord des entführten russischen Präsidenten-Flugzeugs Kremls Oberhaupt und dessen Tochter zu retten, während der stählerne Vogel auseinanderbrechend eine Bruchlandung hinlegt. Als SAS-Soldat wird man mit den schrecklichen Auswirkungen des Terrors auf die Zivilbevölkerung in London konfrontiert. Und in Paris steht man am Fuße des einstürzenden Eiffelturms. Es bleibt keine Sekunde zum Verschnaufen. Durch Staunen auseinandergespreizte Augenlieder fühlt man sich wie Alex in "A Clock Work Orange" zum Betrachten schockierend spektakulärer Bilder gezwungen, während man selbst unterbrechungslos den Abzug betätigt. Das Erfolgsrezept ist offensichtlich: Schockierende Inhalte verpackt in eine Michael Bay-würdige Inszenierung, getragen von einem Spielprinzip, das so massentauglich und zugänglich wie Morhuhnschießen zurechtgestutzt wurde.

Schießbude der Superlative 

MW3 mag nach außen hin wie das Paradebeispiel für ein Hardcore-Game erscheinen, dabei kann man hier leichter als in jedem anderen Genrewerk zum Supersoldaten werden. Eine standardmäßig aktivierte Autozielfunktion garantiert, dass man beim Anvisieren stets einen Feind vor dem Fadenkreuz findet und betätigt man den Abzug spielen Faktoren wie der Rückstoß kaum eine Rolle. Das massenhafte, Pixeltöten ist so absurd einfach, dass man erst gar nicht in die Verlegenheit gerät, es als reale Abbildung zu hinterfragen. Das Geschehen spielt sich umsichtiger Weise großteils direkt vor der Nase ab. Der Reaktionsradius wurde so weit verkleinert, dass einen selbst die Wirren des Schlachtfeldes nur sehr selten durcheinander bringen. Wenngleich man rund um den Globus in Aktion tritt, läuft man stets auf vorgetrampelten Pfaden. Weiß man kurz nicht, wohin es geht, führt einen der lauthals schreiende Kamerade ans Ziel. Meistens läuft er dafür sogar vor und wiederholt sich mehrmals, sollte man vor einer verschlossenen Türe stehend nicht verstanden haben, was mit der Sprengladung in der Hand zu tun ist. Es ist, als würde man mit dem Touristenbus durch die Hölle fahren - in einer Hand die Pistole schwingend, mit der anderen nach dem Popcorn greifend.

Schwache Erzählung

Wo Modern Warfare komplett scheitert, ist es, das aufregende Szenario und die dicht verstrickte Geschichte zu erzählen. Durch den raschen Wechsel zwischen den Protagonisten und Schauplätzen, verliert man in der rund 5 Stunden dauernden Kampagne rasch den Faden. Identifikation ist so gut wie nicht möglich, da sich Charaktere maximal durch Akzente unterscheiden und zu 90 Prozent wird dieses filmreife Spektakel zwischen den Einsätzen in aufgehübschten Power-Point-Präsentationen aufgelöst. All dies mit einer Geschwindigkeit, die eine Breaking-News-Zeile CNNs langsam erscheinen lässt. So wie man Dan Browns Werken ("The Da Vinci Code", "Diabolus", etc.) lesefreundliche Durchschaubarkeit vorwerfen kann, darf man MW3s Team rund um Autor Paul Haggis vorhalten, die Erzählung rein als Vehikel für actiongeladene Momente zu missbrauchen. Schaltet man die Konsole ab, glimmen lediglich Eindrücke von Bombenexplosionen und wahnsinnigen Spezialeffekten weiter. Worum es eigentlich gegangen ist, vergisst man so schnell wie das Einlegen der Disc wieder - dabei ist es der Höhepunkt der Trilogie. Nun, Verständnisfragen klären andere.

Es geht ums Abschießen

Das ist überaus zu bedauern, denn der Stoff würde großes Kino auch abseits imposanter Bilder erlauben. Die Motive für ein reduziertes Story-Telling sind jedoch offensichtlich. Die Einzelspielerkampagne hat wie bei den meisten jüngeren "Call of Duty"-Ablegern lediglich zwei Aufgaben. Einerseits sorgt sie mit tabuloser Gewalt für große Schlagzeilen in den Breitenmedien und andererseits gilt sie für die Mehrheit der Konsumenten lediglich als Warm-up für Mehrspielergefechte. Denn werden Computergegner gegen menschliche Kontrahenten getauscht, zeigt auch MW3 sein wahres Gesicht. Wirkt das zugängliche Gameplay in der Kampagne noch einschränkend, macht es den Multiplayer zum rasanten und hoch kompetitiven Abschießen-Spiel. Das Maschinengewehr aufgreifen kann jeder, bis man allerdings so schnell zieht, wie die Besten, können Jahre vergehen. Das sorgt bei knapp 20 Spielvariationen und einem mittlerweile fast perfektionierten Belohnungssystem für hohe Motivation. Viel haben die Entwickler bei Infinity Ward und Sledgehammer Games nicht am Rad gedreht, wenngleich das ein oder andere Highlight gesetzt. Für besonderen Nervenkitzel sorgt etwa der Bewerb "Kill Confirmed", in dem die gegeneinander antretenden Teams nur dann für einen Abschuss eines Feindes belohnt werden, wenn man die Hundemarke des Opfers einsammelt. Ist man nicht schnell genug und schnappt diese sich ein Gegner, gibt es keinen Punkt.

Gemeinsamer Überlebenskampf für die Statistik

Zur Stützung der Moral wurde das aus den Vorgängern bekannte "Killstreaks"-System in "Pointstreaks" erweitert. Hier werden Erfolge während einer Partie - sei es ein Kill oder die erfolgreiche Platzierung einer Bombe - auf einem Konto verbucht, das Zugriff auf drei verschiede "Strike Packages" erlaubt. So kann man sich dann aussuchen, ob man beispielsweise seine Angriffsstärke vorübergehend durch ein Predator-Drohne ausbauen möchte oder lieber seine Defensive unterstützt.

Die Einzelspieler-Kampagne kann man zwar alternativ nicht mit einem Freund an der Seite durchleben, dafür gibt es separate Missionen. So wurde der "Modern Warfare"-Reihe der genreweit populäre "Survival Mode" eingeimpft, in dem man sich zu zweit (oder auch allein) stetig stärker werdenden Wellen von Gegner stellen darf. Der Überlebenskampf wird mit virtuellem Geld belohnt, das zur Finanzierung besserer Ausrüstung und Kriegsmaschinerie eingesetzt werden kann. Fahrzeuge darf man im Multiplayer-Modus jedoch nie steuern. Zurück ist auch der "Spec Ops"-Modus, in dem man sich wiederum allein oder gemeinsam stark fordernden Einsätzen stellen muss.

Mit dem Start von MW3 werden alle MW3-Spieler und Spieler der letztjährigen Call of Duty-Iteration "Black Ops" an eine soziale Plattform angeschlossen. In der kostenlosen Fassung erhält man dadurch Zugang zu einer "lebenslangen" Statistik zu den eigenen Fortschritten und Misserfolgen und kann mit anderen Konsolen- und PC-Soldaten in Kontakt treten. In der kostenpflichtigen Variante erhält man für jährlich 49,90 Euro Zugang zu exklusiven Clan-Funktionen, Analyse-Werkzeugen und regelmäßigen Turnieren. Wer jetzt schon weiß, dass er sich alle Zusatzinhalte über die kommenden 12 bis 24 Monate kaufen wird, profitiert zudem in Summe von den Preisnachlässen auf Download-Inhalte.

Fazit

"Modern Warfare 3" beweist einmal mehr, dass sich die "Call of Duty"-Serie zum herbstlichen Sommer-Blockbuster der Videospielwelt entwickelt hat. Eine lautstarke Kernspielerschaft mag sich mittlerweile an dem trivialen Rezept aus schockierenden Bildern und realistisch anmutendem Dosenschießen genauso satt gesehen haben, wie ein Kinoliebhaber an Weltuntergangsschinken von Roland Emmerich und Co. Für die Kritiker gibt es aber mittlerweile zahlreiche Alternativen, was auch ein Verdienst des Bestsellers ist. Doch für Millionen Menschen liefern Activisions Studios adrenalinreiche Kost, die mit ausufernden Mehrspielerinhalten ebenso ganze Wochenenden füllt, wie kurz einmal zwischendurch sättigt. Das macht MW3 zum Nervenkitzel auf Abruf - für "noobs" genauso attraktiv wie "pros". Dass der dritte Weltkrieg nur als Trittbrett für eine explosive Achterbahnfahrt genutzt wird, ist ebenso traurig wie die Erkenntnis, dass das absehbar kommerziell erfolgreichste Unterhaltungswerk des Jahres eine Geschichte erzählt, an die sich in wenigen Wochen niemand mehr erinnern wird können. Da waren Videospiele nicht erst 2011 schon weiter. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 14.11.2011)

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