Wien - Signe ist 15 und geht in die Abschlussklasse ihrer Schule. Sie spricht nicht viel, sie gehört zu den guten, aber unauffälligen Schülerinnen. In der Pause steht Signe (Judit Weegar) bei den anderen Nerd-Mädchen, während die aufgebrezelten Klassentussis um die Aufmerksamkeit der männlichen Wortführer buhlen.
Dieses gruppendynamische Szenario - samt den damit verbundenen Konflikten - scheint erst einmal universell. In den USA hat sich dazu ein ganzes exportträchtiges Popkulturgenre entwickelt: Highschool-Komödien, TV-Serien und ein Soundtrack aus Millionen Liedern, in denen Außenseiter leiden oder rebellieren. Auch der zweite Kinofilm des schwedischen Regisseurs, Autors und Schauspielers Peter Schildt trägt einen rebellischen Titel: Tausend Mal stärker heißt er. Sein einziger Schauplatz bleibt - bis auf den Epilog - Signes Schule.
Dort haben sich selbst im aufgeklärten Schweden doch wieder klassische geschlechtsspezifische Verhaltensmuster und Benachteiligungen etabliert. Der Film entwickelt zuerst eine Reihe schlüssiger, exemplarischer Situationen zwischen Klassenzimmer, Mensa, Turnhalle und Schulhof.
Dann erzählt er, was geschehen kann, wenn das vermeintlich harmonische Miteinander von einer Partei plötzlich vehement hinterfragt wird. Das Aufbegehren der Mädchen ist wiederum an das Auftauchen einer neuen Schülerin geknüpft: Saga (Julia Sporre) ist weitgereist und selbstständig, sie hat ein feines Sensorium für die beiläufigen Diskriminierungen, aber anders als Signe auch keine Scheu, diese anzusprechen.
Tausend Mal stärker basiert auf einem Roman Christina Herrströms. Ein Interesse an sozialen Strukturen und Machtverhältnissen haben Schildt und die Autorin bereits 2002 bei Suxxess bewiesen, der ein Firmengefüge studierte.
Unmittelbare Lebensrealität
Tausend Mal stärker wird in Wien beim 23. internationalen Kinderfilmfestival präsentiert, vom 12. bis 20. November stehen dabei insgesamt 15 Spielfilme auf dem Programm. Das Gros kommt aus skandinavischen Ländern, wo die Produktion von Kinderfilmen zum Teil seit Jahrzehnten bewusst gefördert wird. Im Unterschied zum regulären Spielbetrieb, der für das jüngere Publikum primär Animationsfilme und Fantasy-Abenteuer vorsieht, wird dabei meist von einer unmittelbaren Lebensrealität ausgegangen.
Die Auseinandersetzung mit dem frühen Tod eines Elternteils und daraus resultierenden Ängsten kann dann aber durchaus komisch ausfallen: So wie in Arild Andresens Der Liverpool-Goalie, wo sich der 13-jährige Jo vor jeder Entscheidung die schlimmstmöglichen Konsequenzen ausmalt - welche der Film in rasanten Sequenzen umsetzt.
Eröffnet wurde mit der niederländischen Familienkomödie Der Zauberer von Joram Lürsen, auch der diesjährige Ehrengast kommt aus Holland: Regisseurin Ineke Houtman, die mit Polleke 2003 eine Geschichte vom geglückten multikulturellen Zusammenleben erzählte und die nun ihr jüngstes Werk, die musikalische Komödie Mein Großvater der Bankräuber, vorstellt.
Neben Polleke ist als Reprise unter anderem auch die großartige südkoreanische Generationenstudie Jiburo zu sehen: Ein Siebenjähriger wird darin von seiner als Alleinerzieherin überforderten Mutter aufs Land zu seiner Großmutter geschickt. Zwischen den beiden unfreiwillig Zusammengespannten entspinnt sich ein Geduldsspiel und ein Machtkampf um Alltäglichkeiten.
Jiburo zeichnet sich durch einen scharfsinnigen Blick für Details und einen feinen Tonfall aus, wie man ihn auch aus frühen Tragikomödien Yasujiro Ozus erinnert. Und nicht nur dieser Beitrag ist ein Beleg dafür, dass die besten "Kinderfilme" letztlich großes Kino für alle sind. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2011)