Inka Parei, "Die Kältezentrale", € 19,95 / 216 Seiten, Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2011

Foto: Schöffling Verlag

Heizer sind in der deutschsprachigen Literatur, von Kafka bis Hilbig, vertraute Figuren; Männer, die für Kälte sorgen, eher nicht. "Kälte herstellen, hatte der Mann, der mich anwarb, unsere Tätigkeit damals genannt", erinnert sich Inka Pareis namenloser Protagonist. "Aber wir waren nicht produktiv. Arbeit am Klima ist die ständige Überwachung eines Ist-Zustandes. Man sorgt dafür, dass die Dinge stabil bleiben."

In der DDR herrschte an unproduktiven Überwachungstätigkeiten bekanntlich kein Mangel. Elf Prozent des Nationaleinkommens wurden damals dafür ausgegeben, belehrt einen der Icherzähler. In der gesamtdeutschen Gegenwart hat er es inzwischen über den zweiten Bildungsweg vom Mechaniker zum Lehrer für Deutsch und Geschichte gebracht. Zwanzig Jahre nach seiner Ausbürgerung schämt er sich für seine damalige Tätigkeit.

Denn die Männer der "Kältezentrale", zu denen Pareis Protagonist einst gehörte, arbeiteten nicht irgendwo. Mit ihren drei großen "Turboverdichtern" sorgten sie dafür, dass im Redaktionsgebäude des Neuen Deutschland am Berliner Franz-Mehring-Platz Druckmaschinen und Redakteursköpfe nicht heißliefen.

Emotionale Störfälle

In Inka Pareis neuem Roman, ihrem dritten, geht es um die anhaltenden Strapazen der Regulation, und zwar im buchstäblichen wie metaphorischen Sinn. Es geht um Verhaltenslehren der Kälte, um technische und emotionale Störfälle, um die Angst vor Kontrollverlust. Diese verspürt auch Pareis Protagonist, der im Heute nach einem psychischen Absturz in einer Klinik versucht, seine Erinnerungen zu ordnen.

Am Ende weiß er, dass er ihnen nicht trauen kann, dass sich seine Vergangenheit in den labyrinthischen Windungen der Klimaschächte im ND -Gebäude verliert. Den roten Faden sucht auch der Leser, einmal mehr beeindruckt von Sprachmächtigkeit, Einfühlungsvermögen und literarischem Anspruch Inka Pareis. Schon die beiden vorangegangenen Romane der 1967 in Frankfurt am Main geborenen Autorin, Die Schattenboxerin (1999) und Was Dunkelheit war (2005), waren so etwas wie Turboverdichter deutscher Geschichte, in denen sich das Persönliche und Gesellschaftliche amalgamierten. Auch im neuen Roman überlagern sich die Zeitebenen: die Ereignisse in der DDR 1986. Das erinnerungslose Nachwendeleben des Icherzählers in Baden-Württemberg. Und schließlich die dem Absturz unmittelbar vorangegangenen, wie halluziniert erlebten letzten Tage in Berlin.

Hier aber wird es problematisch, weil nicht recht zusammenwachsen will, was offenbar für Parei zusammengehören soll. Diese letzten Tage sind ein klassischer Wettlauf gegen die Zeit: der Versuch der Hauptfigur, den drohenden Krebstod seiner ostdeutschen Ex-Freundin aufzuhalten. Marthas Anruf aus dem Krankenhaus eine Woche zuvor, ihre Bitte, nach einem seinerzeit möglicherweise verstrahlten Lastwagen auf dem ND-Gelände und einem ehemaligen Kollegen, Hansmann, zu suchen, öffnet für den Protagonisten die Tür zum Kühlhaus seines Gedächtnisses. Zu den bis dahin ignorierten, konservierten Erinnerungsbrocken an ein früheres Leben in einem nicht mehr existierenden Land, darunter seine Schuldgefühle wegen Hansmanns vermeintlichem Selbstmord. Doch wie haltbar ist diese Geschichte? Ostdeutsche Lkws, die nach dem GAU in Tschernobyl verstrahlt aus der Ukraine zurückkamen, gab es tatsächlich; auch fiel ihre Kontaminierung erst mit erheblicher Verspätung auf.

Dieser Einfall Pareis ist nach Fukushima also nicht nur aktuell, sondern auch historisch glaubhaft. An jenem Nachmittag im Jahr 1986 wäre in der Nähe des Lastwagens sein erstes Date mit Martha gewesen; stattdessen ging der Icherzähler in der Kühlzentrale einem eingebildeten Geräusch nach. Dass sein und Marthas Leben anders verlaufen wäre, hätte er damals seiner Angst nicht nachgegeben, wird ihm erst auf seiner Suche nach Hansmann in der Gegenwart bewusst. Ebenso dass es der kranken Martha offenbar mehr um den totgeglaubten Hansmann als um die Frage geht, ob sie damals, als sie heimlich in den Lastwagen kletterte, verstrahlt wurde.

So atemlos man diesem verzweifelten Versuch, den Zerfall der eigenen Identität aufzuhalten, auch folgt, die Verbindung zwischen dem Plot und dem historisch-politischen Hintergrund wirkt diesmal nicht überzeugend. Eindringlich beschreibt Inka Parei den rauen Werksalltag im Schichtbetrieb, das Mobbing der älteren Kollegen gegen jeden Neuen, ihre Rituale des Machterhalts - aber was ist daran DDR-typisch? Auch für ihre Hauptmetapher, die maschinelle Produktion von Kälte zur Erhaltung des Status quo, gilt: Nicht nur die Köpfe von ND-Redakteuren bedurften und bedürfen beizeiten der Kühlung. (Oliver Pfohlmann  / DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2011)