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Das frostige Tempo des Wachstums der Wirtschaft betrifft die ganze Welt.

Brüssel - Die Europäische Zentralbank (EZB) mahnt Europas Regierungen angesichts des drohenden Absturzes der Konjunktur zu tiefgreifenden Reformen. Der EZB-Rat fordere "alle Regierungen des Euroraums auf, die Umsetzung substanzieller und umfassender Strukturreformen dringend zu beschleunigen", schreibt die Notenbank in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht November.

Einer EZB-Expertenumfrage zufolge trüben sich die Aussichten zunehmend ein: Die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum wurden sowohl für dieses Jahr als auch für 2012 und 2013 nach unten geschraubt. In diesem Jahr halten die Experten ein Plus von 1,6 Prozent (bisher 1,9) beim realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) für möglich, 2012 nur noch 0,8 (1,6) Prozent.

Zugleich wird mit einem Rückgang der Inflation gerechnet: Die jährliche Teuerung dürfte nach Einschätzung der Fachleute 2012 mit 1,8 (2,0) Prozent knapp unter die EZB-Warnschwelle von 2,0 Prozent sinken. Für 2011 wird ein Wert von 2,6 (2,6) Prozent erwartet.

Diese Daten stützen den Kurs der Notenbank. Die Währungshüter hatten gleich in der ersten Sitzung unter Leitung des neuen EZB-Präsidenten Mario Draghi Anfang November die Zinsen gesenkt und damit die Geldschleusen wieder weiter geöffnet - zur Überraschung von Ökonomen und Märkten.

Die Notenbank begründete die Senkung des Leitzinses um 0,25 Punkte auf 1,25 Prozent in ihrem Monatsbericht erneut mit Sorgen um die Konjunktur. Niedrigere Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und können so Investitionen und Konsum anschieben. Sie heizen aber auch die Inflation an, weil mehr Geld in Umlauf kommt.

Zugleich hilft die EZB Euro-Schuldenstaaten wie Griechenland und Italien weiterhin durch den Kauf ihrer Staatsanleihen. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen hat die EZB Staatspapiere im Gesamtvolumen von 183 Mrd. Euro in den Büchern. Die EZB bekräftigte, solche Sondermaßnahmen seien "vorübergehender Natur".

Auch die EU-Kommission rechnet mit Stillstand

Euch die EU-Kommission rechnet mit einem Stillstand der Wirtschaft. "Es besteht das Risiko einer erneuten Rezession", sagte Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Für die Eurozone hat die EU-Kommission die Aussichten nach unten revidiert: Die Eurozone kann für heuer nur mehr mit einem Zuwachs von 1,5 Prozent rechnen - gegenüber den im September prognostizierten 1,6 Prozent - und 2012 mit nur mehr plus 0,5 Prozent Wirtschaftsleistung (BIP). Für Österreich hat die Kommission die Prognose nur für das laufende Jahr angehobe: Demnach wird das BIP heuer um 2,9 Prozent steigen, im Frühjahr hatte die Kommission noch 2,4 Prozent prognostiziert. 2012 wird das BIP-Plus dann aber auf 0,9 Prozent abgeschwächt.

Für 2013 kann Österreich laut der Prognose wieder mit 1,9 Prozent Wachstum rechnen. Für die gesamte EU sagt die Kommission für heuer 1,6 Prozent Wachstum voraus, für kommendes Jahr nur mehr 0,6 Prozent. Die Eurozone wird demnach 2013 auch nur einen schwachen BIP-Zuwachs von 1,3 Prozent verzeichnen, die gesamte EU von 1,5 Prozent. In Griechenland und Portugal wird die Wirtschaft im kommenden Jahr der Schätzung zufolge weiter schrumpfen: Für Athen wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,8 Prozent prognostiziert, für Lissabon ein Minus von 3,0 Prozent. Deutschland kann der Prognose zufolge im kommenden Jahr mit einem BIP-Plus von 0,8 Prozent rechnen, Frankreich mit einen Zuwachs von 0,6 Prozent und Italien nur mehr mit plus 0,1 Prozent.

Inflation unter zwei Prozent

Die Inflationsrate in der Euro-Zone soll bis 2013 unter der von der Europäischen Zentralbank gesetzten Obergrenze von zwei Prozent bleiben. Die Neuverschuldung in den Euro-Ländern wird laut Prognose allmählich gesenkt: Nach einem Defizit von 4,1 Prozent in diesem Jahr erwarten die Experten 3,4 Prozent 2012. Die Drei-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts wäre 2013 wieder erreicht.

In Österreich mehren sich laut dem Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) die Anzeichen für eine deutliche Konjunkturabkühlung. Betroffen sind durch den internationalen Abschwung in Österreich besonders exportorientierte Sachgütererzeuger, hieß es. Die Erwartungen der Unternehmen - auch im Dienstleistungssektor und in der Bauwirtschaft - für die kommenden Monate sinken.

Im ersten Halbjahr 2011 war die Wirtschaftsleistung in Österreich noch kräftig angestiegen, im August wurde die Produktion noch ausgeweitet und Kapazitätsauslastung sowie Auftragsbestände waren laut Wifo noch hoch. Im Oktober schwenkten die Produktionserwartungen im Wifo-Konjunkturtest allerdings auf überwiegend negativ.

Das Tempo des Wachstums der Wirtschaft betrifft aber die ganze Welt: Das zeigte sich laut Wifo in den letzten Monaten vor allem in den asiatischen Schwellenländern. Deren Wirtschaft war nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Motor der Konjunkturerholung. Die Abwärtsdynamik im Euro-Raum sei aber noch deutlicher ausgefallen. Innerhalb der Währungsunion gingen die Warenimporte zuletzt deutlich zurück, während das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal in den USA mit einem Plus von 0,6 Prozent im Vorjahresvergleich "überraschend stark" war.

Die derzeitigen Konjunkturindikatoren - vor allem das Konsumentenvertrauen - deuten laut Wifo aber auch in den USA auf eine Konjunkturdämpfung hin. Für den Euro-Raum liegen noch keine Schätzungen zur BIP-Entwicklung vor, eine Stagnation der Wirtschaftsleistung in der zweiten Jahreshälfte 2011 zeichne sich aber ab.

Das trübe weltwirtschaftliche Umfeld und die anhaltende Euro-Krise dämpfen Erwartungen der Unternehmen und privater Haushalte - "merklich", so das Wifo. Auch die Lage am Arbeitsmarkt bleibt weiter angespannt. Im September stieg die saisonbereinigte Arbeitslosenquote in der EU auf 10,2 Prozent. Spitzenwerte im negativen Sinn verzeichnen die Krisenländer Spanien, Griechenland, Irland und Portugal sowie die baltischen Staaten, die Slowakei und Bulgarien. In Österreich lag die Arbeitslosenquote im Oktober nach heimischer Berechnungsmethode bei 6,9 Prozent. (APA)